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Der Herr macht Lichter

Synergieeffekte für Berlin! Bei Claus Peymann trompeten Engel auf dem Dach, und auf der Bühne machen sich karikaturhafte FBI-Schergen an Brecht zu schaffen: Das Berliner Ensemble eröffnete mit der Uraufführung von George Taboris „Brecht-Akte“ ■ Von Christiane Kühl

„Schön, die alten Proletarier wieder vereint zu sehen“, kommentierte eher zynisch ein junger Mann

Wenn man sich Mühe gibt, die Sache mit Humor zu sehen, stellt man sich eine überdimensionale Feile vor, die hinterm Bahnhof Friedrichstraße angesetzt wurde. Das wäre eine Art zu erklären, warum das, was Direktor Peymann der Hauptstadt so bissig als „Reißzahn im Regierungsviertel“ angekündigt hatte, sich nun so zahm und fast ein wenig stumpf vorstellt.

Am Samstagabend wurde am Berliner Ensemble die Ära Peymann eingeläutet. Dass schon vor Amtsantritt von einer Ära gesprochen wurde, zeigt den überaus festen Willen, die Legende fortzuschreiben. Nicht erst seit seinem Amtsantritt im September, schon in Wien hatte Claus Peymann begonnen, sich über unzählige Medienäußerungen einen roten Teppich für seine Rückkehr nach Deutschland zu stricken. Viel zitiert ist seine Metapher der „öden Wüste“ zur Beschreibung der Berliner Theaterszene, die der Ex-Burgtheaterdirektor selbstredend in eine blühende Landschaft zu wandeln gedenkt.

Die Theater der Hauptstadt, so viel sei zugegeben, definierten in den letzten Jahren nicht ungebrochen die Spitze der Avantgarde oder des Könnens. Besonders das Berliner Ensemble dümpelte spätestens seit Heiner Müllers Tod 1995 ziellos vor sich hin. Trotzdem wirkte es etwas vermessen, dass der 62-Jährige meinte, den Berlinern heuer den Begriff Theater buchstabieren zu müssen.

Auch ohne Peymann geriet in dieser Spielzeit in Berlin alles in Bewegung: Sasha Waltz und Thomas Ostermeier übernahmen die Leitung der Schaubühne, die sie nach umfassender Umstrukturierung am 22. Januar neu eröffnen werden; Stefan Otteni und Martin Baucks übernahmen die Kammerspiele des Deutschen Theaters, die nach einem großen Bühnenumbau Anfang Februar den Spielbetrieb aufnehmen wird; das Maxim Gorki Theater zieht unter dem scheidenden Intendanten Bernd Wilms wegen Renovierung des eigenen Hauses für acht Monate in das Schillertheater; und die Volksbühne, gleichfalls mit neuer Bühnentechnik ausgerüstet, leistet sich mit Thomas Bischoff immerhin einen neuen Hausregisseur.

So viel Umbruch hat Synergieeffekte. Die Feuilletons sind voll vom Theater, und die Häuser suchen sich mit publikumswirksamen Aktionen zu übertreffen. Peymann beherrscht dieses Spiel wie kein zweiter. „Mehr Noblesse“ versprach er dem für 16 Millionen Mark renovierten Theater und gleichzeitig eine Preisreform, die „soziale Barrieren ebnet“. Einmal monatlich soll Kinderbetreuung arrangiert werden, und auch der von ihm durchs Haus geführte „Sonntagsspaziergang“ war so erfolgreich, dass er monatlich wiederholt werden soll. Überflüssig zu erwähnen, dass die erste Premiere unter seiner Intendanz, die Uraufführung von George Taboris „Die Brecht-Akte“, seit Wochen ausverkauft war.

Doch auch wer eine Karte hatte, musste am Samstag erst einmal unter freiem Himmel warten. Fackeln leuchteten den Weg aus, das BE selbst lag komplett im Dunkel. Unbedarfte tippten auf Stromausfall, aber selbstverständlich war auch das verschlossene, dunkle Theater Teil einer großen Peymannschen Inszenierung. Herr über alles ist er auch Herr über das Licht. Wer die Metapher da noch nicht kapiert hatte, bekam es um Punkt 19.30 Uhr mit dem Holzhammer: Unter dem plötzlich im schönsten Neonrot und -blau erleuchtenden BE-Enblem auf dem Dach des Gebäudes führte ein Engel die Trompete an die Lippen. Das Volk schaute ergriffen in den Sternenhimmel, bis eine andere Lichtgestalt über dem Portal die Verheißung formulierte: „Die kurze Zeit des Winters – heut ist sie um.“

Für den Prolog bekam die Schauspielerin beherzten Dankesapplaus. „Das hat die aber sehr gut gesprochen“, bemerkte eine kenntnisreiche, distinguierte Mittfünzigerin am provisorisch auf dem Rasen errichteten Sektstand. „Schön, die alten Proletarier wieder vereint zu sehen“, kommentierte ein eher zynisch veranlagter junger Mann.

Die Eröffnungsinszenierung im Jahre 50 nach der Gründung des Berliner Ensembles durch Bert Brecht und Helene Weigel hat Claus Peymann nicht selbst eingerichtet, sondern George Tabori in die Hände gelegt. Der große, alte Mann des deutschsprachigen Theaters, der seit Jahren jedes seiner Stücke sein letztes nennt, doch unermüdlich weiter Dramen schreibt und auf die Bühne bringt, inszenierte am Schiffbauerdamm die Uraufführung seines ursprünglich für das schwedische Fernsehen entstandenen Spiels „Die Brecht-Akte“.

Die Brecht-Akte sind jene 400 Seiten Informationen, die das FBI in den Jahren 1941 bis 1947 über den Schriftsteller zusammentrug. Brecht lebte zu dieser Zeit mit seiner Frau Helene Weigel, den beiden Kindern sowie seiner Mitarbeiterin und Geliebten Ruth Berlau als Exilant im kalifornischen Santa Monica. Das FBI, das unter seinem äußerst engagierten Direktor J. Edgar Hoover bereits 1936 begann, Informationen über „subversive Bestrebungen“ zu sammeln, interessierte sich für den in linken Exilantenkreisen verkehrenden Brecht relativ schnell. 1943 wurden die ersten Reporte vorgelegt, deren Werkinterpretation mit jedem Literatureinführungsseminar mithalten könnte: Brechts Schriften, heißt es da scharfsinning, befürworteten den Sturz des kapitalistischen Systems und die Etablierung eines sozialistischen Staats. Einem Internierungsgesuch wurde zwar nicht stattgegeben, doch wurden in Zukunft Brechts Telefonate abgehört, Korrespondenz abgefangen und Gespräche von Spitzeln rapportiert. 1947 muss er vor dem House Un-American Activities Committee aussagen; am Tag darauf sitzt er im Flieger nach Zürich. Der Überwachung durch das FBI schließt sich später in Ostberlin das Interesse des CIA an.

Tabori, der Brecht 1947 in New York bei den Endproben zu „Galileo“ mit Charles Laughton in der Titelrolle kennenlernt, hat sich die Brecht-Akte für einen Dollar organisiert. Aus ihrem Material und den Erfahrungen seiner eigenen Geheimdiensttätigkeit für die Briten hat der gebürtige Ungar ein Stück entwickelt, in dessen Zentrum er das Verhältnis der zwei B. B. beschattenden FBI-Agenten stellt.

Leider ist dieses Verhältnis in zwei Sätzen erzählt: Agent Gallagher (Rufus Beck) ist ein schmieriger Smarty, der nicht ganz so clever ist, wie er gerne wäre, und Agent Shine (Veit Schubert) ist ein unterbelichteter Tumbmatz, der sich Gallagher zu Füßen wirft. Beide sind schwul. Über zehn Szenen sieht man sie miteinander, mit anderen über Brecht oder mit B. B. selbst reden. Und fragt sich, wie man ein solches Thema so verschenken konnte.

Die Agenten sind Nadelstreifen tragende Karikaturen ihrer filmischen Abbilder. Wären sie auch nur halb so dämlich wie dargestellt, gäbe es von staatlichen Überwachungsorganen nichts zu fürchten. Diese Bagatellisierung löscht die politische Ebene des Geschehens, ohne den Entertainmentfaktor zu heben: Auf der Bühne laufen Klischees und dröge Slapsticknummern. Alles ist einfach und schal und dramaturgisch schlecht rhythmisiert. Dass Shine durch ein Brecht-Gedicht nicht nur zur Emanzipation vom FBI, sondern gleich noch zur Heterosexualität bekehrt wird, macht die Sache mitnichten besser.

Das kann Claus Peymann nicht gemeint haben, als er ein „staatsfeindliches Theater“ ankündigte. Kann sein, dass ihm sein abonnierter Wiener Rabaukenstatus ein wenig die Perspektive geknickt hat. Aber diese Eröffnung hinterließ den Eindruck, den er am wenigsten gewollt haben kann: eines – bei allem Respekt vor George Tabori – freundlichen Altherrentheaters mit 20-Uhr-15-Pepp. Als Auftakt einer Serie von Premieren an neu strukturierten Häusern blieb der Abend weit hinter den Erwartungen zurück.

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