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Netter Kanzler, nettes Papier

Warum das Bündnis trotz des Konsenses vertrackt bleibt ■ Von Annette Rogalla

Berlin (taz) – Er hat’s geschafft. Der Termin war riskant, die Sache sensibel, die Gesprächspartner tief verzankt. Jetzt lachen alle und sind froh. Dem Kanzler sei Dank. Gerhard Schröder legte dem zerfahrenen Bündnis für Arbeit gestern ein Papier vor, mit dem alle einverstanden sind.

Zwei Tage bevor der Vorstand der IG Metall seine Lohnempfehlungen für die anstehende Tarifrunde gibt, ist es Schröder gelungen, die kampfbereiten Gewerkschafter zu besänftigen. Zwar erwähnt das Papier die Rente mit 60 mit keinem Wort, aber es verspricht, „Wege (zu finden), ein beschäftigungswirksames vorzeitiges Ausscheiden langfristig Versicherter aus dem Erwerbsleben zu zumutbaren Bedingungen ... zu ermöglichen, ohne dass zusätzliche Belastungen für die Sozialversicherung entstehen“.

Die Tarifpartner sollen dabei „differenzierte betriebs- und branchenbezogenene Regeln anstreben“. Damit macht Schröder Zwickel deutlich, das er nicht viel von seinem Projekt der Rente mit 60 hält. Jedenfalls wird der Kanzler nichts dafür tun. Es sei denn, die Gewerkschaft und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall einigen sich auf einen Tariffonds für die Metall- und Elektrobranche. Erst nach einem solchen Tarifvertrag wird der Kanzler erneut über die Möglichkeit nachdenken, das Rentenalter branchenpartiell abzusenken. Weil Schröder aber ein netter Kanzler ist, der weiß, welchen Schein eine friedliche IG Metall auf ihn wirft, hat er die Abfuhr schön formuliert. Zwickel, der viel gescholtene und angeschlagene Gewerkschaftsboss, bewahrt sein Gesicht: Er kann nun sagen: Die Regierung lehnt die Rente mit 60 nicht total ab. Morgen, wenn in Frankfurt der IG-Metall-Vorstand die Lohnrunde bespricht, ist Zwickel wieder in seiner Uralt-Rolle zu bewundern: als Daddy Cool der arbeitenden Bevölkerung.

Die Arbeitgeber könnten das gestrige Gespräch als Formelkompromiss werten. Hundt und Co. sind ihrem politischen Instinkt gefolgt und haben zu Schröders Umschiffen des eigentlichen Streitthemas Rente mit 60 genickt. Trotzdem bleibt für die Arbeitgeber, zumindest in der Metallindustrie, die Angelegenheit höchst vertrackt. Die IG Metall beharrte gestern sofort darauf, dass Zwickels Lieblingsthema nicht vom Tisch sei. Der Gewerkschaftssprecher machte eine Vorab-Offerte: Bei einem akzeptablen Ergebnis in der Tarifrunde sei die Gewerkschaft zum Abschluss mehrjähriger Tarifverträge bereit.

Werner Stumpfe, Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, kann sich auf eine nervige Zeit gefasst machen. Sein Vorschlag, die Altersteilzeit in der Branche zu verbessern, greift nicht. Zumindest gestern war die Gewerkschaft nicht bereit, darüber nachzudenken, ob ein vorzeitiger Ausstieg letztlich firmenintern zu regeln sei.

An einer harten Tarifrunde, inklusive leidiger Rentendebatte, wird Stumpfe nicht vorbeikommen. Zwickels Berater bereiten die Argumente vor. Was die Beschäftigten durch die 35-Stunden-Woche gewonnen hätten, werde ihnen durch die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 65 wieder genommen. Zudem könne Zwikkel, der Vater der Bündnisses für Arbeit, nur bei der Rente Punkte machen, da die Verhandlungen zum Thema Abbau der Mehrarbeit und Teilzeitarbeit in der Bündnisrunde festgefahren seien. Zwickel, sagt einer seiner Berater unverblümt, „ist unter Druck“.

Insgeheim scheinen sich die Macher in der Gewerkschaftszentrale auf eine kleine Lösung einzurichten. So ist jetzt nicht mehr von hunderttausenden Arbeitslosen die Rede, die in die Betriebe nachrücken könnten. Mittlerweile „geht es darum, das wenigstens 100.000, vielleicht 140.000, die raus wollen, auch raus können“.

Im Zweifel besinnt sich die IG Metall eben auf ihre alten Werte: für die zu sorgen, die einen Arbeitsplatz haben.

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