: Fleisch und Rasierklingen im Briefumschlag
Ein Lehrer eines Marzahner Gymnasiums bekommt seit Oktober 1998 Morddrohungen
Die Drohungen kamen alle zwei bis drei Monate: zerhacktes Fleisch im Briefumschlag, Rasierklingen, Briefe mit SS-Runen, Zeitungsartikel über Morde an Lehrern und die Ankündigung: „Der nächste bist Du!“ Seit Oktober 1998 wird ein Lehrer an der Otto-Nagel-Oberschule in Biesdorf von einem oder mehreren Schülern des Gymnasiums bedroht. Die Schule wirft der Polizei vor, nicht genug gegen die Morddrohungen getan zu haben.
Am Freitag vergangener Woche wandte sich der bedrohte Lehrer, der mittlerweile vier Anzeigen erstattet hat, erstmals an sein Lehrerkollegium. Die Schulleitung reagierte prompt. In einem offenen Brief appellierte sie an Schüler und Lehrer, die Mordrohung ernst zu nehmen: „Die Vielzahl von Anschlägen auf Lehrer, jüngst in Meißen, zeigt, dass dies keine Scherze sind.“ Alle Mitglieder der Schule sollten an der Aufklärung mitwirken. Gestern wurde jede Klasse über die Vorfälle informiert. Der Name des Lehrers wurde jedoch nicht bekannt gegeben. „Wir haben nicht geahnt, dass so etwas an unserer Schule passieren kann“, sagt der stellvertretene Schulleiter Marc-Thomas Bock. „Deshalb wollen wir damit besonders offensiv umgehen.“ Das Gymnasium in Marzahn hatte bisher einen guten Ruf. „Für mich war das hier immer eine heile Welt“, sagt Anninka Mier aus der 12. Klasse. „Hier gibt es keine Drogen und keine Gewalt.“ Die Drohbriefe seien zwar das „Topthema“, aber es gebe bisher unter den Schülern keine Verleumdungen oder Anschuldigungen.
Die Polizei wies gestern die Vorwürfe zurück, sie habe sich nicht genügend um die Drohungen gekümmert. „Wir haben von den Papieren Fingerspuren genommen und die Schrift untersucht“, sagte Polizeisprecher Norbert Gunkel. Außerdem seien drei Jugendliche überprüft worden. Jedoch hätte dies nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Gestern wurde der Fall an die Amtsanwaltschaft übergeben.
Bedrohungen gegen Lehrer von Schülern sind indes in den vergangen Jahren nicht mehr geworden, sagte Thomas John, Sprecher von Schulsenator Klaus Böger (SPD). Jedoch zeige der Fall am Otto-Nagel-Gymnasium eine „neue Qualität“. Bis zum Dezember vergangen Jahres wurden seit Schuljahresbeginn acht Fälle von Lehrerbedrohungen gemeldet. Über die Schwere der Fälle konnte John nichts sagen. Ihm sei jedoch ein Fall bekannt, wo ein Schüler einen Lehrer im Sportunterricht mit einem Messer bedroht habe. Im Schuljahr 1998/99 wurden 15 Fälle von bedrohten Lehrern gemeldet. Im Jahr davor waren es 16. Julia Naumann
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