: Berichte aus einem kafkaesken Land
Vier leider nur im Französischen erschienene Bücher zur politischen Entwicklung in Zentralafrika werfen ein grelles Licht auf die europäischen Großmächte und die USA
Die Demokratische Republik Kongo unter Laurent Kabila und die neuen Kriege in Zentralafrika sind in den vergangenen Monaten Thema mehrerer Bücher gewesen. Leider ist keines von ihnen bislang in Deutschland erschienen.
Das erste und bis jetzt bekannteste unter ihnen ist „L’Enjeu Congolais“ von Colette Braeckman, Journalistin der belgischen Tageszeitung Le Soir und der französischen Le Monde Diplomatique. Ihr Buch spannt den Bogen von Kabilas Aufstieg an die Macht 1997 bis zum neuen Krieg gegen Kabila, der im Sommer 1998 von Rebellen mit Unterstützung Ruandas und Ugandas begonnen wurde. Das Buch enthält einige ebenso exakte wie humoreske Einlagen, zum Beispiel die Saga der „Söldneropas“ aus Europa, die erfolglos dem zairischen Diktator Mobutu gegen Kabila zu Hilfe eilten.
Braeckmans Werk versucht den Spagat zwischen Sympathie für Laurent Kabila und Objektivität in der Darstellung der Verhältnis im Kongo. Die Autorin, die nach ihrem kritischen Mobutu-Buch „Le Dinosaure“ im Jahre 1990 zur unerwünschten Person in Zaire erklärt worden war, sieht in Kabila einen Befreier. Sie spricht ihn von der Beschuldigung frei, in der Anfangsphase des Krieges im Januar 1997 seinen Rivalen André Kisase Ngandu ermordet zu haben. Unerwähnt lässt sie, dass Kabila zum Beginn des neuen Krieges im August 1998 persönlich zur Hetzjagd auf Tutsi aufrief, obwohl sie davon weiß.
Stattdessen schreibt sie von Kabilas „Pflicht zur Undankbarkeit“ gegenüber seinen Exalliierten Uganda und Ruanda, die ihn zuerst an die Macht brachten und mit denen er sich dann entzweite. Sie hält den Herrscher, der gigantische Bergbaukonzessionen an seine Freunde im Ausland vergeben hat, noch immer für einen Nationalisten und das Opfer eines internationalen Komplotts – vergisst indes, dass die USA, Frankreich und Belgien Kabila lange schonten.
Wenn man danach Fabrice Michalons „Otage à Kinshasa“ liest, hat man den Eindruck, von einem gänzlich anderen Land zu erfahren. Michalon, Logistiker der Hilfsorganisation „Médecins du Monde“, verbrachte mehrere Monate in Kongos Gefängnissen, nachdem Kabilas Polizei ihn mit einem serbischen Söldner verwechselte. Seine Schilderung der kafkaesken Aspekte des Kabila-Regimes, der „surrealistischen“ Befragungen und der Wachleute, die die Gefangenen einerseits schlagen und andererseits mit ihnen ihr Essen teilen, ist packend.
Es ist ein außergewöhnliches Dokument, das sich auf Beobachtungen beschränkt und Schlussfolgerungen vermeidet. Michalons Erfahrung scheint ihm die Fähigkeit zur Empörung genommen zu haben, als könne ihn in Kabilas Kongo nichts mehr überraschen.
Mit Jean-Claude Willame, Politologe am Afrika-Institut von Tervueren, und seinem Buch „L’Odyssée Kabila“, bewegt man sich aus der Sphäre der Emotionen in die der Analyse. Willame zeichnet Fakten auf: Anders als seine Mentoren Museveni und Kagame, die Herrscher von Uganda und Ruanda, machte Kabila sich völlig unvorbereitet an die Eroberung der Macht, ohne Armee, ohne Struktur und ohne Konzept. Seine Eroberung Zaires war von Anfang bis Ende eine „Flucht nach vorn“, schreibt Willame.
Wie unter Mobutu, aber unter anderen ideologischen Vorzeichen, hält nur das Überleben des Führers und der um ihn gescharten Nomenklatura das System zusammen. Zahlreiche Beispiele für die inneren Widersprüche werden genannt: Verstaatlichung der Eisenbahnen und Verscherbelung der Bergbaugebiete; das gescheiterte Projekt einer nationalen Wiederaufbaukonferenz, die völlige Kehrtwende bei der Frage der Staatsbürgerschaft der ruandischen Minderheit. Einziger Kritikpunkt an Willame ist seine Tendenz, die anfängliche US-Unterstützung für Kabila für geringer zu halten, als sie war.
Das umfassendste Werk zum Kongo ist ein Sammelband von Willame und drei Kollegen seines Instituts. In drei Teilen wird die Innenpolitik, die Problematik der östlichen Kivu-Region und die Außenpolitik behandelt. Großer Vorteil des Bandes ist seine Sammlung vieler Originaldokumente, die dem Leser die eigene Urteilsbildung erleichtern. Man kann auf diese Weise sehen, wie Kabila das Alleinherrschaftsmodell seiner Miniguerillazeit von 1967 bis 1985 später auf das ganze Land übertragen wollte, mit einem gleichlautenden „Katechismus“ von „sieben Irrtümern“, die die „Revolution“ zu vermeiden habe.
Andere Autoren beweisen, dass Kabila schon vor dem neuen Krieg im August 1998 seinen eigenen Zeitplan zu politischen Reformen nicht eingehalten hatte. Für jeden, der verstehen will, warum Kongo heute zerfallen ist, ist dies ein unverzichtbares Buch.François Misser
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