piwik no script img

Amnestie für algerische Islamisten

Präsident Bouteflika begnadigt den bewaffneten Arm der Islamischen Heilsfront (FIS). Der verkündet seine Auflösung. Doch der Krieg gegen die Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) geht weiter ■ Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – Algeriens Präsident Abdelasis Bouteflika begnadigte am Dienstagabend per Dekret die Untergrundkämpfer der Islamischen Armee des Heils (AIS). Die auf 800 bis 3.000 Mann geschätzten Truppen des bewaffneten Flügels der nach ihrem Wahlsieg 1992 verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS) werden laut Kommuniqué des Präsidialamtes „alle Waffen und militärisches Material übergeben“. Im Gegenzug wird ihnen „die volle Wiedereingliederung in die algerische Gesellschaft“ zugesichert.

AIS-Chef Madani Mezrag reagierte prompt: Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Dekrets bestätigte er in einer kurzen offiziellen Mitteilung „die Auflösung der Organisation“ mit sofortiger Wirkung.

Die AIS war 1993 von ehemaligen Kommunalpolitikern der FIS ins Leben gerufen worden. Bereits im Oktober 1997 stellte die Gruppe ihre Aktionen ein. Ein einseitiger Waffenstillstand sollte dazu beitragen, die radikaleren Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA), die immer wieder für Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich gemacht wurden, zu isolieren. Im Juni vergangenen Jahres, knapp zwei Monate nachdem Bouteflika das Amt des Staatspräsidenten übernommen hatte, unterstellte sich die AIS den algerischen Autoritäten und begann mit ihnen über die Bedingungen für ihre Auflösung zu verhandeln.

Doch vor etwas mehr als einer Woche drohte dieser Prozess ins Stocken zu geraten. Die algerische Armee würde sich nicht an die Abmachungen halten, die ersten 220 AIS-Mudschaheddin, die zu Beginn des soeben zu Ende gegangenen Fastenmonates Ramadan die Berge verlassen hatten, seien in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt worden, klagte die AIS-Führung. Mezrag versetzte seine Truppen in Alarmbereitschaft. Erst mehrere Treffen des AIS-Chefs mit Abgesandten der Führung der algerischen Armee konnte die Lage entspannen.

„Eine starke Macht muss in der Lage sein zu vergeben“, hatte Bouteflika die Suche nach einer großzügigen Lösung für den seit sieben Jahren andauernden Konflikt mit über 120.000 Toten verteidigt.

Dennoch läuft heute das im Juli vom Parlament verabschiedete und im September per Referendum bestätigte „Gesetz zur zivilen Eintracht“ aus, ohne dass es die versprochene endgültige Befriedung Algeriens gebracht hätte. Große Teile der radikaleren Islamisten aus den Reihen der GIA und deren Abspaltung, die Salafistischen Gruppen für die Predigt und den Kampf (GSPC) lehnen es weiterhin ab, sich zu ergeben.

Nur 1.500 Mitglieder beider Gruppen legten bisher ihre Waffen nieder. Doch unter ihnen befindet sich laut örtlicher Presse keine einzige Führungspersönlichkeit der beiden Organisationen. Diese befinden sich weiterhin in den Bergen und befehligen rund 3.000 Kämpfer. Alleine in den letzten sechs Monaten fielen den ihnen zugeschriebenen Massakern 900 Menschen – meist Zivilisten – zum Opfer.

Unter der Bevölkerung, die im September bei einem Referendum voller Illusion mit 98,63 Prozent für Bouteflikas Friedensprozess stimmte, macht sich Enttäuschung breit.

Jetzt, nach Ablauf der in dem „Gesetz zur zivilen Eintracht“ festgelegten Frist, sollen einmal mehr die Waffen sprechen. Die Armee werde in den nächsten Wochen gegen die im Untergrund verbliebenen Islamisten „alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen“, kündigte Präsident Bouteflika an.

Ein Teil der amnestierten AIS-Kämpfer könnte in diesem Rahmen bald schon wieder Waffen tragen. Doch dieses Mal die der algerischen Armee. Laut Berichten der arabischen Zeitung asch-Schark al-Ausat (Der Mittlere Osten) soll Mezrag mit den Generälen ausgehandelt haben, dass ein Teil der Mudschaheddin in Spezialeinheiten der regulären Armee aufgenommen wird, die an vorderster Front der GIA und der GSPC nachstellen sollen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen