Schlagloch: Die Tragik der illegalen Spenden
von Kerstin Decker
„Ich fürchte deine kühle Ironie./ Lass andere darin sich weidlich üben. /Die nicht mehr fähig, heiß wie wir zu lieben,/ Die abgestumpft, um nichts sich mehr betrüben. - / Für uns ist’s dazu noch zu früh.“ Alexander Block
Kann man sich mehr täuschen? Aber Block lesen macht Spaß. Denn woran erkennt man die Ironie? „Sie äußert sich in Anfällen eines kräfteverzehrenden Lachens, das mit einem diabolisch-höhnischen und provokatorischen Lächeln beginnt und mit Tobsucht und Lästerungen endet.“ Block ist was für Ironiker!
Die letzte Ausgabe der Akademiezeitschrift Sinn und Form des letzten Jahrtausends erschien als Ironie-Magazin. Oder nein, eigentlich als ein Pathos-„Special“. Wir lasen von „dem niedrigen ironischen, umgangssprachlichen Stil“, dem Hauptschuldigen an der allgemeinen Flachgeisterei und blickten vorwärts in ein „postironisches menschliches Selbstverständnis“.
Das ist nun also unsere letzte Utopie, nachdem es mit dem Kommunismus nichts geworden ist. Befreit euch von der Ironie, die alles auflöst und alles klein macht! Entdeckt das Pathos! Wir haben es versucht. Die ersten zwei Wochen des neuen Jahrtausends völlig ironiefrei! Und mit Sinn für das Pathos.
„Für Karl und Rosa!“, riefen die Aufrechten, als sie gerade nach Berlin-Friedrichsfelde demonstrierten. „Trotz alledem!“ hieß die Losung des Tages. Wir bemühten uns, das Blasphemische daran nicht zu bemerken. Und nicht zu fragen: Trotz wessen? Denn das ist schon wieder ironisch. Revolutionäre haben ein solches Naturtalent fürs Pathos. Sie kennen überhaupt nur das Pathos, anders wird man ja nicht Revolutionär. Alles oder nichts! Das Motto ist so bezwingend authentisch.
Demokratie dagegen ist vergleichsweise unauthentisch. Und auch unpathetisch. Überhaupt verlängerte der Sozialismus oder das, was sich so nannte, die Illusion der Gesellschaft als substanzialer, ursprünglicher Einheit, ohne die wir nun so schwer leben können. Der Westen nährte sich ja auch davon. Zumindest, indem er dagegen war. Feinde sind immer substanzial, ursprünglich. Und jetzt ist der Feind weg.
Substanziale Gemeinschaften erkennt man daran, dass sie nicht lachen können. In der DDR lachte es sich schon deshalb so gut, weil der Staat keinen Spaß verstand. Lachen als widerständlerische Tat. Das ist nun vorbei. Zumindest für uns, die wir Sinn und Form gelesen haben. Zählt Lachen zur Dekadenz?
Die CDU-Spendenaffäre ging weiter. Und es kam darauf an, die ironische Seite der Sache nicht zu bemerken. Nicht auf die „Treffen sich Kohl und Krenz im Knast“-Witze hören! Und hat das alles nicht wirklich eine beinahe tragische Dimension? Dabei hätten Kohl und Schäuble schon vorher wissen können, wie’s ausgeht! Aus dem „Ring des Nibelungen“. Sigmund hat nämlich auch eine illegale Spende genommen. Und es im Unterschied zu Schäuble, Kohl und den anderen nicht mal gewusst. „Wälse, wo ist dein Schwert?“ Das ist übrigens richtiges Pathos. Nur deshalb, weil Sigmund das Schwert nie hätte bekommen dürfen, hat die Oper dann noch zwei Folgen, und am Ende gehen alle unter. Genau wie die CDU.
Opern sind übrigens per se unironisch. Und die CDU-Geschichte ist inzwischen auch schon eine Oper geworden. Nur wer ist die tragische Figur? Kohl nicht. Schäuble nicht. Die politische Kultur der Bundesrepublik?
Und das ist deswegen so schlimm, weil die Bundesrepublik eben keine ursprüngliche Gesellschaft ist. Weil sie ohne schützenden Ideenhimmel auskommen muss. Sie funktioniert mit zwei sehr formalen Dingen: Geld und Pluralismus, Pluralismus und Geld. Irgendwie hat die CDU das auf ihre Weise auch so gesehen. Nur eben sehr viel einfacher.
Wie entsubstanzialisiert, unbegabt fürs Pathos wir wirklich sind, erkennt man aber daran, dass seit Sonntag Frauen in die Armee dürfen. Das ist das Ende des Pathos. Alles Pathos hatte schon immer sehr militärische Züge. Helden, Sieg, Kampf und Niederlage. Gar nichts für Frauen. Nur hat sich das Berufsbild des Militärs seit Homer oder mindestens Ernst Jünger doch gewandelt. Heute bauen Soldaten Brücken (Bosnien) und Dachstühle (Kosovo) oder bohren Brunnen (Somalia). Manchmal müssen sie sogar, wie eben zu hören war, Geburtshilfe leisten. Wieso ist denn keine Frau hier?, werden da die Soldaten tief in ihrem Innern gefragt haben. Wahrscheinlich ist das Pathos schon lange vor der Strasburger Entscheidung aus der Armee desertiert und zu den Frauen übergelaufen. Wo sonst trifft man noch solch heiligen Ernst wie in der Frauenbewegung? Mit Feministinnen ist nicht zu spaßen. Sie halten genau wie die Sinn und Form Ironie für eine besonders miese Form der Dekadenz. Und jetzt? Keine Siegesfeiern anlässlich des Einzugs der Frauen in die Bundeswehr. Eher so ein mildes Lächeln. Bei vielen, die man fragt.
Das ist das Allerschlimmste. Noch viel schlimmer als die Spendenaffäre der CDU. Wenn die Frauen ironisch werden, ist alles aus. Früher hat man gedacht, Frauen können gar nicht ironisch sein. Und wenn doch, dann sind sie keine Frauen mehr. Denn lässt größere Greuel sich denken als eine ironische Frau? Das Weib ist verantwortlich fürs Substanziale. Naturgrund der Gesellschaft, Mutter, Geliebte. Gibt es ironische Mütter? Und ironische Liebe? Also schaffen wir die Mütter und die Liebe ab und behalten die Ironie?
So ungefähr muss es die Sinn und Form gemeint haben. Der Sinn für das Tragische sei uns abhanden gekommen. Tragik hat natürlich mit Opfer zu tun. Früher übernahmen das die Frauen. Vielleicht hätten wir keine einzige dieser wunderbaren italienischen Opern sonst. „Tosca“ oder „Norma“. Ist es das nicht wert? Eben genau so was bemerken Sloterdijk oder Botho Strauss schon seit langem. Und jetzt eben auch die Sinn und Form. Dass es ohne das Opfer keine höhere Kultur gibt oder jedenfalls keine italienische Oper. Und alle, die es bemerken, werden daraufhin meist „Kryptofaschisten“ genannt. Von den Aufklärern. Von den opferlosen Denkern überhaupt, die glauben, Wahrheit lässt sich immer ausdiskutieren und Kunst habe mit Wahrheit nichts zu tun. Eher mit Verzierung.
Frank Castorf hat eben Batailles „Obszönes Werk“ auf die „Volksbühne“ gebracht. Antiaufklärung!, sagte Habermas mal. Es sieht aus wie Pornografie, wirkt genauso und zeigt uns, dass wir sogar unsere Sexualität verludern. Weil sie nämlich auch mit Opfer zu tun hat. Sogar mit dem Heiligen. Nach Bataille. Wie soll man so was zeigen? Etwa ohne Ironie? Mit Pathos?
Auf die Idee, dass Pathos und Ironie zusammengehören, kam keiner in der Sinn und Form. Am Theater lernt man so was. Bei Castorf oder wenn Eberhard Esche „Sehnsucht, du klagende Flamme“ spricht.
Ungebrochenes Pathos ist vormodern. Gänzlich unironisch sind nur die ganz Linken (auch wenn sie das nicht wissen) und die Rechten. Die wollen das Realpathos zurück. Wir müssten wieder Verehrung lernen! Und den Schmerz lieben! Wider die entlastete Gesellschaft! Aber ist Kunst nicht die größte aller Entlastungen und dennoch tätiger Schmerz?
Also gehen wir lieber in die Oper!
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