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Berlins Regierender flüchtete vor dem Mahnmal-Termin

Wo war Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), als die Spitzen der Republik gestern morgen um elf am Gelände des Holocaust-Mahnmals den symbolischen Baubeginn zelebrierten? Ganz einfach: Er saß zwei Kilometer weiter im Osten an seinem Schreibtisch im Roten Rathaus.

Dorthin war der Landesvater gleich nach der Gedenkstunde im Bundestag geflüchtet – eine Stunde vor der Zeremonie fürs Mahnmal. Und von dort rollte er zwei Stunden später wieder an, um – gleich neben dem Mahnmalgelände – dem Justizausschuss des Landesparlaments Rede und Antwort zu stehen. Den direkten Weg zwischen den beiden Parlamentsgebäuden hatte Diepgen mit Bedacht vermieden: Schließlich hätte er direkt am Gelände des geplanten Mahnmals entlanggeführt.

Ein Freund der Mahnmals-Idee war der Bürgermeister von Anfang an nicht gewesen. „Wir müssen darauf achten, dass die Provinz in Deutschland nicht den Stolz und die Hauptstadt die Reue verkörpert“, ließ er schon 1994 wissen. Dennoch schob sein Büro, als es Diepgens Nichterscheinen ankündigte, zunächst Zeitnot vor. Diepgen habe andere Termine, hieß es.

Doch ein stichhaltiges Alibi ließ sich nicht konstruieren. Schließlich waren die Persönlichkeiten, mit denen Diepgen einen gewichtigen Alternativtermin hätte vereinbaren können, schon für das Mahnmal gebucht. Also musste der CDU-Politiker vor einer Woche mit der Wahrheit herausrücken. „Sie können von mir nicht erwarten, dass ich zu einem symbolischen Akt gehe und eine Entscheidung lobe, die ich so nicht getroffen hätte“, erklärte er – ganz wie ein trotziger Junge.

Immerhin hatte sich Diepgen noch kurzfristig entschlossen, morgens im Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken; am Nachmittag hörte er sich im Berliner Abgeordnetenhaus eine Erklärung zum Auschwitz-Gedenktag an. Ralph Bollmann

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