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Schülerfantasien

Früher wäre man dafür geköpft worden. Charles The First ging es zum Beispiel so. Er wurde am 30. Januar 1649 zu Whitehall bei London hingerichtet, weil er sich als König über das Gesetz stellen wollte. Und John Locke war es, der zwischen gerechter und ungerechter Herrschaft unterschied und daraus das Recht auf den Tyrannenmord ableitete. Er verglich den absoluten Fürsten mit einem wilden Tier, vor dem sich niemand sicher fühlen könne.

Als Politiklehrer kann ich derzeit meinen Schülern diese Geschichten nicht erzählen, ohne dass sie auf gefährliche Gedanken kommen. Pädagogen nennen das Transfer. Einer dieser Gedanken lautet: Wenn der Mann auf unsere Verfassung in dem klaren Bewusstsein schwor, gegen den Art. 21.1 verstoßen zu haben, und wenn er sogar weiterhin planvoll dagegen verstoßen will – dann ist er ja ein Verbrecher. Ich verweise zur Sicherheit auf Art. 102 (die Todesstrafe ist abgeschafft), damit die Schülerfantasie nicht unnötig ausufert. Anschließend blättern wir im Grundgesetz und suchen einen Artikel, der weiterhilft. Aber wir finden keinen. Kanzlerkriminalität ist nicht vorgesehen.

Guter Unterricht endet mit einem kreativen Ausblick. Wir spinnen den Krimi zu Ende. Kein Spender offenbart sich; Leuna drückt und drückt; Helmut Kohl kommt wegen Bestechlichkeit in Haft; er schimpft auf die Journalisten, die ihm das alles angetan hätten. Aber es geht ganz human zu, offener Vollzug, der Mann kann ja keinen Schaden mehr anrichten. Er hält Vorträge über seine politische Verfolgtheit und über den Undank des deutschen Volkes. Die Handelskammer Hamburg eröffnet einen Podiumszyklus mit berühmten deutschen Straftätern.

Wenn der Referent abends in sein Domizil zurückkehrt, begegnet ihm manchmal Egon Krenz. Und der grinst stolz: Er wird von Schulklassen als Zeitzeuge eingeladen. Kohl ist sauer. Er muss so was ablehnen. Denn er kann die entscheidende Frage nicht beantworten. Kurt Edler