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„Euch Deutschen ist wohl alles egal“

■ Mehrere hundert Menschen protestierten gegen den Auftritt von Jörg Haider im Hotel Intercontinental. Draußen flogen Steine, drinnen hatte der Österreicher die Lacher auf seiner Seite. Politikerschelte für Moderator Böhme

Mit Pfiffen, Parolen und vereinzelt auch Pflastersteinen haben mehrere hundert Menschen gestern gegen den Auftritt des österreichischen Rechtsradikalen Jörg Haider in einer Talkshow des Fernsehsenders n-tv protestiert. Noch bevor Haider im Hotel Intercontinental eintraf, rissen Demonstranten ein Absperrgitter der Polizei um und versuchten zum Hotel vorzudringen.

Aus der Menge flogen Flaschen und Steine auf die eingesetzten Beamten. Die Polizei verstärkte daraufhin ihr Aufgebot in der Budapester Straße und sperrte den Vorplatz des Hotels mit Mannschaftswagen ab. In der Umgebung wurden drei Schaufenster eingeschlagen.

Auf Transparenten forderten die rund 500 Demonstranten „Faschisten bekämpfen“ und „isolieren statt demaskieren“. Die PDS-Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt sagte, mit der Einladung werde Haider lediglich eine Plattform zur Selbstdarstellung geboten. Es gebe nichts zu entlarven. Ein Redner der Zeitung bahamas sagte: „Durch Haider spricht Hitler.“

Ilka Schröder, Europaabgeordnete der Grünen, kritisierte die Sanktionen der EU-Staaten als „heuchlerisch“. So hätten Bundesinnenminister Otto Schily und sein französischer Kollege Jean-Pierre Chevènement mit Begriffen wie „Überflutung Europas durch Migration“ die Rhetorik Haiders längst übernommen. Fassungslos schrie eine junge Türkin Passanten an: „Euch Deutschen ist wohl alles egal!“

Nach knapp zwei Stunden löste die Polizei die Versammlung auf, nachdem diese vom Veranstalter für beendet erklärt worden war. Im Anschluss versuchten Demonstranten erneut, vom Olof-Palme-Platz aus zum Hotel Intercontinental vorzudringen und ein Polizeifahrzeug umzuwerfen. Die Polizei setzte Schlagstöcke ein und trieb die Menge im Laufschritt in Richtung Gedächtniskirche, wo sich die Ansammlung zerstreute. Auch ein Wasserwerfer fuhr kurzzeitig vor. Die Polizei nahm vier Personen fest.

Zu den Protestaktionen hatten die grüne Jugend Berlin, der PDS-Jugendverband „solid“, die Jungsozialisten sowie der „Thomas-Bernhard-Fanclub Berlin“ aufgerufen. Mit einem „braunen Österreicher“ dürfe es keine Diskussion geben, so der „Fanclub“, der sich auf den verstorbenen österreichischen Schriftsteller und Vaterlandskritiker Thomas Bernhard bezieht.

Im Innern des Hotels, wo die Sendung aufgezeichnet wurde, hatte Haider häufig die Lacher auf seiner Seite. Gäste nutzten die Zwischenpausen, um sich ein Autogramm von jenem Mann zu besorgen, der noch vor wenigen Jahren die Beschäftigungspolitik der Nazis gelobt und die Waffen-SS als „anständig“ bezeichnet hatte. Kritiker empfingen den Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) mit Buhrufen. Einige hatten sich T-Shirts mit dem Konterfei von Jörg Haider und der Aufschrift „Bitte jetzt weiterzappen“ angezogen. Zahlreiche private Wachschützer sorgten für die Sicherheit des Kärntner Landeshauptmanns.

Die Sendung, die ursprünglich live ausgestrahlt werden sollte, war aus Sicherheitsgründen schon am Nachmittag aufgezeichnet worden. Ein Teil der akkreditierten Journalisten wurde von n-tv wieder ausgeladen. Der Sender berief sich auf Auflagen der Polizei.

Der Auftritt Haiders war seit längerem umstritten. Sabine Christiansen hatte den rechtsgerichteten Österreicher vor genau einer Woche wieder ausgeladen, nachdem sich andere Gäste ihrer Talkshow geweigert hatten, mit Haider zu diskutieren.

Talkmaster Erich Böhme hatte die neue Galionsfigur der extremen Rechten in Europa daraufhin eingeladen und dafür eigens den Start seiner neuen Sendung „Talk in Berlin“ vorgezogen. „Ich werde Haider entzaubern“, hatte Böhme im Vorfeld angekündigt. Die SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Petra Merkel warf Böhme vor, mit Haider die Einschaltquote erhöhen zu wollen. Auch Wolfgang Wieland, Fraktionsvorsitzender der Grünen, nannte die Einladung Haiders „peinlich“. Andreas Spannbauer

Siehe Seite 8

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