: Angela Merkel als die junge Alternative
■ Bei der Schäuble-Nachfolge als Parteichef heißt die CDU-Devise: Bloß nichts überstürzen. Favoritin ist Generalsekretärin Merkel
Um die Überraschung über den plötzlichen Sturz des Wolfgang Schäuble einzufangen, schöpfte ein CDU-Abgeordneter seine eigene Wortkreation: Es habe in der Unions-Fraktion eben ein dramatisches „Geschwindigkeitsbedürfnis“ gegeben. Seit der Knoten durchgeschlagen und Schäuble geschasst ist, hat sich in Fraktion und Partei der Drang nach Tempo deutlich verringert. In der Frage des Parteivorsitzes stehen sich mit CDU-Generalsekretärin Angela Merkel und Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel zwei Favoriten gegenüber, die beide noch ihre Zeit brauchen dürften, um Unterstützer aus der Partei hinter sich zu versammeln. Entsprechend fraglich war gestern, ob das CDU-Präsidium bei seiner Sitzung am Abend überhaupt versuchen würde, zu einer Entscheidung zu kommen.
Merkel warnte zuvor in Bezug auf die Entscheidung über eine neue Parteispitze vor zu großer Eile. „Ich rate davon ab, zu früh alle Schotten dicht zu machen“, sagte Merkel gestern am Rande der Bundestagssitzung in Berlin. In der Partei müsse mehr diskutiert werden, die Meinungsbildung müsse von unten nach oben erfolgen. „Wir werden alles in Ruhe diskutieren.“
Die Alternative zwischen Vogel und Merkel wird in der CDU als Alternative zwischen zwei Führungsmodellen gesehen. Der 67-jährige Westdeutsche mit Osterfahrung stünde für eine Periode des Übergangs, in der ein vertrautes Gesicht die verstörte Basis beruhigen könnte. Die 45-jährige Ostdeutsche dagegen könnte den Aufbruch in eine Zukunft verkörpern, in welcher sich die CDU als weltoffen und vergleichsweise liberal präsentiert.
In der Partei mehrten sich gestern die Stimmen prominenter Funktionäre zugunsten von Angela Merkel. Der stellvertretende CDU-Chef Christian Wulff sagte im NDR, die Wahl Merkels wäre das Signal für einen Generationenwechsel. „Jetzt mutig ran und nach vorne und einmal eine Frau als Parteivorsitzende“, sagte Wulff. Merkel stehe auch für das Zusammenwachsen Deutschlands. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Hans-Peter Repnik, sagte, Merkel habe gerade im Zusammenhang mit der Spendenaffäre neues Profil gewonnen. Sie sei auch geeignet, neue Wählerschichten anzusprechen.
Fraktionsvize Hermann Kues sagte der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: „Für Angela Merkel als neue Parteivorsitzende gibt es in der Landesgruppe Niedersachsen eine große Sympathie.“ Die Sprecherin der „Jungen Gruppe“ in der Unionsfraktion, Ursula Heinen, sagte im Hessischen Rundfunk, Merkel habe „in dieser schwierigen Phase unheimlich viel gearbeitet und uns dennoch Glaubwürdigkeit erhalten“. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Weiß erklärte: „Die CDU braucht jetzt einen klaren Schnitt und einen schnellen Neuanfang, und den kann für die Partei am besten Angela Merkel bewirken.“
CSU-Kreise äußerten allerdings leise Vorbehalte gegen Merkel als CDU-Chefin. Unterschiede zu Merkels inhaltlichen Vorstellungen gebe es beispielsweise beim Staatsangehörigkeitsrecht und in der Familienpolitik. Trotzdem werde man sie natürlich nicht ablehnen, hieß es unter Hinweis darauf, dass, anders als die Fraktion, die Partei ihre Führung allein zu bestimmen habe.
Rühe wird als strahlender Verlierer zurückkehren
Die Klärung der Nachfolge Schäubles im Fraktionsvorsitz wird sich mit Sicherheit verzögern, da nun ein Streit zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU um den Termin für eine Neuwahl ausgebrochen ist. Die CSU erklärte sich gestern abermals bereit, den CDU-Finanzexperten Friedrich Merz als neuen Unionsfraktionschef mitzutragen. Die Wahl des 44-Jährigen gilt damit als sicher. CSU-Landesgruppenchef Michael Glos forderte im Berliner Info-Radio aber eine Verschiebung der für Dienstag geplanten Abstimmung. Er könne sich eine Wahl von Merz durchaus vorstellen. Voraussetzung dafür sei aber ein „ordnungsgemäßes Verfahren“ mit Beteiligung der Parteigremien, das bis zum nächsten Dienstag nicht zu schaffen sei.
Je nach Termin läge die Neuwahl vor oder nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Die CSU macht sich dafür stark, dass der 57-jährige CDU-Spitzenkandidat Volker Rühe auch nach einer Niederlage einen herausragenden Platz in der Partei erhalten sollte.
Aus Fraktionskreisen hieß es am Vormittag, der zwei Tage zuvor auf Anregung Schäubles gefasste Beschluss, die gesamte Fraktionsspitze am 22. Februar neu zu wählen, erscheine vielen Abgeordneten inzwischen übereilt und nicht mehr sachgerecht. CSU-Parteichef Edmund Stoiber plädierte für „Qualität vor Geschwindigkeit“.
Möglich schien gestern darum auch die Lösung, am kommenden Dienstag lediglich den Fraktionsvorsitzenden und den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer zu wählen, deren Stellvertreter aber erst nach der Wahl zum Kieler Landtag. Das würde vor dem Urnengang ein Signal eines Neuanfangs setzen, aber die Möglichkeit zulassen, flexibel auf das Wahlergebnis zu reagieren. Rühe könnte dann wenigstens Fraktionsvize werden. „Rühe wird als strahlender Verlierer, aber eben als Verlierer nach Berlin zurückkehren“, war die vorherrschende Prognose unter den CDU-Abgeordneten. Es erscheine im Übrigen nicht opportun, dem Ex-Generalsekretär und langjährigen Mitglied der Regierung Helmut Kohls zum jetzigen Zeitpunkt eine Spitzenposition zu ermöglichen. AP/AFP/dpa
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