■ Darf diese Frau Vorsitzende einer konservativen Westpartei werden? Acht Experten begutachten Angela Merkel und ihre Chancen im Kampf um die Führung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Ihre Partei und besonders die Amigos von der CSU sind noch skeptisch: Denn Merkel ist ...
: Weiblich. Und liberal. Und ostdeutsch.

Die Fotografin

Herlinde Koelbl (59) hat Angela Merkel zwischen 1991 und 1998 für ihr Projekt „Spuren der Macht“ mehrfach fotografiert und interviewt:

„An ihrer politischen Entwicklung und Lernfähigkeit ist deutlich zu sehen, dass sie sehr wohl für den Parteivorsitz prädestiniert wäre. Sie hat die richtigen Eigenschaften, sie ist intelligent, kann integrieren, begeistern, befrieden, kann sich durchsetzen, Mut machen, sachlich denken und handeln, sich Ziele setzen, auch langfristige, sie ist ehrgeizig und hat die nötige Härte. Außerdem hat sie eine Frische und Liberalität, die der CDU die dringend benötigte Aufbruchstimmung geben könnte und den Einfluss der Nationalkonservativen in Grenzen hielte. Sie kennt die Haltungen und Erwartungen der Menschen in Ost und West, ein wichtiger Aspekt, der zu wenig beachtet wird. Gott sei Dank oder leider hat sie keinen Klüngel hinter sich. Denn wenn es um wirkliche Machtpositionen geht, wollen die Männer es immer noch unter sich aushandeln. Jeder der alten Kämpen würde als Parteivorsitzender am Anfang Fehler machen. Angela Merkel würde vielleicht andere machen, aber sicher nicht mehr. Die CDU sollte den Aufbruch in die politische Zukunft mit einer Frau an der Spitze wagen.“ Foto: Reuters

Der Banknachbar

Rudolf Seiters (62), ehemaliger christdemokratischer Kanzleramts- und Bundesinnenminister, ist im Bundestag oft der Mann an der Seite Angela Merkels – sie sitzen im Parlament zuweilen nebeneinander. Sitznachbar Seiters will aber trotz (oder gerade wegen?) intimer Kenntnis der Kandidatin nicht schwätzen:

„Angela Merkel ist eine sehr gute Generelsekretärin. Sie wäre auch qualifiziert für den Parteivorsitz. Die Überlegungen für die Besetzung dieses Amtes sind aber noch nicht abgeschlossen.“ Foto: AP

Das mediale Maschinengewehr

Friedrich Küppersbusch (38), Fernsehmoderator außer Diensten, taz-Autor und gelernter Krankenpfleger für Behinderte, hat in seiner Politsendung Zak + die Nation schon einmal unter Angela Merkels Rock gucken lassen. Medienprofi Küppersbusch hält die Noch-Generalsekretärin für eindeutig vorsitzfähig:

„Ich sage Ja, aber ich bin auch nicht in der CDU. Was ich von dort höre, ist, dass die Männer in der CDU eine Frau, die Westdeutschen eine Ostdeutsche und die alten Säcke eine Junge nicht dulden werden.

Aber wenn man bedenkt, wie die Karriere der Merkel anfing, dann stimmt der Superlativ, dass sie die meistunterschätzte Politikerin in Deutschland ist.

Zur Rechten sah man wie zur Linken allenthalben Schäuble sinken, und in der Mitte steht die Merkel. Und ist sympathisch, weil sie die Medien nicht benutzt, um offen zu intrigieren oder brünftig ihr eigenes Panier in die Kamera zu halten.

Wenn sie allerdings für einen programmatischen Neuanfang stehen soll, wird mir eher angst: Aus meinen, zugegeben spärlichen, Kontakten zu ihr habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie am Rande des Ordoliberalen steht. Nach dem Motto: Das Bedürfnis nach dem überfürsorglichen Staat könne man sich in Ost und West nun mal abschminken, dies sei eben eine Wettbewerbsgesellschaft.

Ihre Medienkompetenz ist ungefähr so wie die des frühen Kohl. Nur dass sie nicht so zickig ist – Kohl hat damals Rundfunkräte angerufen und verlangt, dass er nicht mehr von unten fotografiert wird. Sie ist keine Charismatikerin, aber das war der frühe Kohl ja auch nicht.

Die Medien werden sie also dissen, man wird sie langweilig finden, aber das lässt sich alles überleben. Die CDU als Volkspartei muss ja keine glanzvollen Siege in Talkshows erringen, sie darf nur den Leuten nicht auf die Zwiebel gehen, nicht penetrant sein. Und das kann man, wenn man so zurückhaltend und so scheut wirkt wie Angela Merkel.“

Foto: Kerstin Zillmer

Der Intellektuelle

Dr. phil. Roger Willemsen (44), Quotenintellektueller des deutschen Fernsehens und Ex-Nachtwächter, macht sich gerne seine Gedanken. An Angela Merkels CDU jedoch hat er sich überfressen:

„Wie muss ein Land sein, in dem Angela Merkel zur Lichtgestalt wird? Es muss so lange Schiffeversenken mit seinen Oppositionspolitikern gespielt haben, bis einfach niemand anderes übrigblieb. Als Merkel Umweltministerin war, hat’s der Umwelt nicht genützt, also soll sie ruhig CDU-Parteivorsitzende werden.

Ich bin es einfach satt, mich in die psychologische Befindlichkeit und Personalsituation einer Partei einzufühlen, die per definitionem zu keiner wahren Erneuerung in der Lage ist.“ Foto: ZDF

Die feministische Vorkämpferin

Alice Schwarzer (57), Buchautorin, Verlegerin und Herausgeberin der feministischen Zweimonatszeitschrift „Emma“, hält Angela Merkel für klug, integer und damit bestens geeignet:

„Eigentlich steckt der Karren so tief im Dreck, dass die Stunde einer Frau geschlagen hat. Denn dann dürfen sie. Wenn die Jungs die Sache so richtig in den Sand gesetzt haben, dürfen die Frauen sie wieder rausziehen. Was Angela Merkel ja seit Wochen tut. Wie stünde die CDU da, würde nicht diese über allem Verdacht stehende tapfere Generalsekretärin das Prinzip Hoffnung verkörpern? Frau, Pfarrerstochter, Ossi - Korruption hätte sich einfach nicht gelohnt bei ihr, denn Macht hatte sie noch nicht. Also steht sie da mit weißer Weste und glaubwürdigem Erneuerungswillen.

Wäre Generalsekretärin Merkel ein Generalsekretär, ihr Weg zum Parteivorsitzenden wäre nicht mehr aufzuhalten. Selbst von der CSU nicht, die nun um das ‚wertkonservative Element` an der Spitze der Schwesterpartei bangt. Aber eine Frau ... der kann bis zum 10. April noch viel passieren.

Ich habe Kohls früher gern belächeltes ‚Mädchen` seit 1991 als kluge, integre und bewusste Frau schätzen gelernt. Ich würde mir darum wünschen, dass Merkels Kandidatur nicht nur von den Wulffs und Geißlers, sondern auch von den Frauen in ihrer Partei unterstützt wird. Denn diese Parteivorsitzende stünde nicht nur für eine fortschrittlichere und gesamtdeutschere, sondern auch für eine weiblichere CDU – was sich zwischen all den Cash-Koffern und Cohiba-Zigarren gut machen würde.“ Foto: Anna Weise

Der grüne Nachfolger

Jürgen Trittin (45), grüner Bundesumweltminister. Er ist Angela Merkels Amtserbe im Umweltressort, scheint den Mächtigen der Atomindustrie zuweilen jedoch folgsamer zu sein als seine konservative Vorgängerin. In seiner Partei hätte Merkel dank der bündnisgrünen Quotenregelung bessere Chancen, an die Spitze zu gelangen.

Trittin ist in Bezug auf Merkels Chancen auf den christdemokratischen Parteivorsitz skeptisch und wortkarg:

„Ich glaube, dass die CDU das nicht machen wird. Weil Angela Merkel erstens eine Frau und zweitens aus dem Osten ist. Ich halte es zwar nicht für ausgeschlossen, aber für unwahrscheinlich.“ Foto: Reuters

Das ostdeutsche Sozialgewissen

Regine Hildebrandt (58), ehemalige sozialdemokratische Sozialministerin in Brandenburg, hält Merkel für prädestiniert:

„Bereits im letzten DDR-Kabinett (de Maizière) lernte ich eine auf konstruktive, sachliche Zusammenarbeit bedachte Regierungssprecherin Angela Merkel kennen. Ich erinnere mich da an komplizierte Pressekonferenzen, beispielsweise die Kürzung der Stasi-Renten betreffend. Auch die spätere Bundesfrauenministerin erwies sich als kooperativ – im Rahmen ihrer Möglichkeiten setzte sie sich verständnisvoll und unbürokratisch, also ganz und gar nicht ,bundesministeriell‘, u. a. für Ostdeutschlands besonders ausgeprägte Kita-Praxis ein. Große Enttäuschung bereitete allerdings ihre Haltung bei der Novellierung von § 218 (Zusammenführung Fristenregelung Ost und Indikationslösung West). Hier hat sie sich aus Gründen der Parteiräson bewusst über die mehrheitlichen Erwartungen der Ostfrauen hinweggesetzt. Solcherart opportune Kompromissbereitschaft, aber auch Fairness, Pragmatismus und freundliche Geduld prädestinieren sie gewiss für höchste christdemokratische Ämter.“ Foto: Andreas Schoelzel

Der politische Entdecker

Lothar de Maizière (59), letzter Regierungschef der DDR, könnte heute ebenfalls heiß gehandelter Kandidat für den vakanten CDU-Vorsitz sein.

Wäre er nur nicht im Dezember 1990, kurz vor der Bundestagswahl, über Stasi-Enthüllungen des „Spiegel“ gestolpert und in deren Folge als Bundesminister für besondere Aufgaben und einziger Stellvertreter des damaligen CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl zurückgetreten. Angela Merkel, damals noch das vollkommen unauffällige „Mädchen“, war in der kurzen Zeit von Lothar de Maizières DDR-Regentschaft seine Regierungssprecherin.

„Angela Merkel als Parteivorsitzende, das wäre ein Signal für einen tatsächlichen Neuanfang der CDU. Ihre Mitbewerber sind doch der Ära Kohl noch viel zu nah.

Eine Ostdeutsche als Parteivorsitzende wäre zudem ein Signal für das Zusammenwachsen der CDU in Ost und West, ja der ganzen deutschen Gesellschaft. Und drittens wäre die Frau als Parteivorsitzende auch ein wichtiges programmatisches Signal für eine wertkonservative Partei.

Den Skeptikern sei gesagt: Es gab auch Skeptiker, als Merkel Generalsekretärin wurde. Die sind heute allerdings verstummt.“ Foto: AP