Web-Voyeure im WC

■ Bald startet die RTL 2-Belanglosigkeit „Big Brother“. Auch im Internet. Und dort kann sie keiner kontrollieren

Die zehn Teilnehmer der Beobachtungsshow „Big Brother“ leben in einer sonderbaren Medienwelt. Wenn sie sich ab dem 1. März in das mitten aufs Brachland bei Köln gebaute Wohncontainerdorf für RTL 2 von der Außenwelt abschotten lassen, dürfen sie 100 Tage lang weder fernsehen noch das Internet nutzen. Gleichzeitig aber kann die Fernseh- und Internet-Gemeinde ihnen beim Wohnen zuschauen. Und während der im Fernsehen täglich nur 45 Minuten lang berichtet, haben die Internet-Benutzer rund um die Uhr die Möglichkeit, live dabei zu sein.

Nicht alles, was gefilmt wird, gibt’s auch zu sehen

Nach den aktuellen Planungen stehen zwanzig der insgesamt 28 Kameraeinstellungen als „Live-Stream“ im Internet zur Verfügung. Wer die entsprechende Software installiert hat, kann unter www.bigbrother-haus.de Tag und Nacht beobachten, was in Köln gerade passiert. „Ab 28. Februar sollen die Kameras abrufbar sein“, sagt Thomas Aigner, dessen Münchner Agentur AME den Webauftritt von „Big Brother“ realisiert. Auf einem virtuellen Grundriss der Wohnanlage können die Fans dann das Zimmer anklicken, das sie gerade interessiert. Außerdem gibt es jeweils vier „Master Cuts“ mit den aktuell für interessant befundenen Einstellungen zu sehen. Eventuelle Glanzstücke aus dem Containeralltag werden online archiviert.

Natürlich dient dieses Internet-Angebot zunächst als Werbung für die allabendliche TV-Zusammenfassung um 20.15 Uhr. Gleichzeitig will man hier aber auch in den elektronischen Handel (e-commerce) einsteigen. „Produkte, die der Kandidat gerade liest, auf denen er sitzt oder die er am Körper trägt, kann der Internet-Besucher gleich bestellen“, erläutert AME-Chef Thomas Aigner unverblümt.

Dass man nach dem Anklicken der Klo-Kamera auch Werbung für Toilettenpapier zu sehen bekommt, ist allerdings unwahrscheinlich. Zwar ist auch auf dem WC eine Kamera installiert („Es soll keine unbeobachteten Rückzugsräume geben“, so eine Endemol-Sprecherin), aber nicht alles, was die Kameras filmen, wird auch im Internet zu sehen sein. Wenn jemand auf dem Klo seine Notdurft verrichtet, soll die Kamera ausgeblendet – Voyeurismus also nur gekitzelt, aber nicht wirklich bedient werden. Auch Selbstbefriedigung oder allzu heftige Sexszenen gibt es, wie schon 1999 beim ersten Durchlauf in den Niederlanden, gar nicht zu sehen. Rund 25 „Regisseure“ im Schichtdienst sollen dafür sorgen, dass es stets jugendfrei bleibt.

Die schon im Vorfeld eingeräumten Bedenken der für RTL 2 zuständigen hessischen Medienaufsicht hingegen richten sich weniger gegen die konkreten Bilder auf den heimischen Benutzeroberflächen denn auf das Konzept der Sendung: Die „vollständige Preisgabe von Intim- und Privatsphäre“ verletze möglicherweise die Menschenwürde der Teilnehmer, heißt es in Kassel.

Aber die Medienaufsicht ist fürs Internet nicht zuständig

Das könnte für „Big Brother“ gefährlich werden, denn der ab April geltende neue Rundfunkstaatsvertrag erklärt TV-Sendungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen, generell für „unzulässig“. Aber: Die Medienaufsicht ist für das besonders intensive Internet-Angebot nicht zuständig. „Wenn tagelang unkommentierte Livebilder gezeigt werden, ist das kein Rundfunk“, erläutert Joachim Becker, Vizedirektor der hessischen Medienaufsicht. Aber was gilt nun fürs Internet? Nach Ansicht der Mainzer „Zentralstelle der Länder für Jugendschutz in Mediendiensten“ ist „Big Brothers“ Webauftritt kein normales Internetangebot, sondern ein rundfunkähnlicher „Mediendienst“. Und hier wiederum gilt ein anderer Länderstaatsvertrag, der ab April ebenfalls Verstöße gegen die Menschenwürde verbietet.

Auf den ersten Blick ist also die www-Version von „Big Brother“ vom Verbot bedrohter als die TV-Ausgabe. Wenn es jedoch nach der Mainzer Zentralstelle geht, muss sich RTL 2 keine Sorgen machen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ,Big Brother‘ ein Verstoß gegen die Menschenwürde sein soll“, erklärt Dieter Spürck, der als Jurist bei den Internet-Prüfern arbeitet. Dort ist er anderes gewöhnt: NS-Propaganda, Pornographie, Gewaltverherrlichung.

Weil beim „Big Brother“-Spektakel aber nicht nur Zuschauer und Surfer, sondern auch die Kandidaten freiwillig mitmachen, sieht Spürck zunächst keine juristischen Ansatzpunkte gegen den Internet-Auftritt. Christian Rath