: Weißer Kreis auf schwarzem Grund
Joseph Beuys erleuchtete Dr. Kohl mit dem Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ – keine andere Partei sieht Kunst so sehr als Kapitalanlage wie die CDU. Wurde im Gegenzug die moderne Kunst mit ihren Event-Managern ein Teil des Kohl-Systems? ■ Von Wolfgang Müller
Irgendwie war da die Rede vom Verschwinden der Kunst. Im Juni 1993 beklagte das Wolfgang Max Faust, der Mentor der Wilden Malerei, in seinem Buch „Dies alles gibt es also – AIDS, Leben und Kunst“. Seine Trauer um die längst vom Sockel heruntergeholte Kunst, die sich im gesellschaftlichen Prozess auflöse und bald alles Mögliche sei außer Kunst, war sicher auch Resultat seiner enttäuschten Liebe zur Kunst. Vielleicht sollte die Initiative aber auch zur Rettung seiner persönlichen Vorstellung von Kunst dienen, eine schon damals überholte Vorstellung.
Und jetzt die CDU? Aber nein. Von der Gefahr einer verschwindenden CDU kann wirklich nicht die Rede sein. Satte 35 Prozent bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, wobei der Verlust von 2 Prozent gleich vom potenziellen Koalitionspartner FDP übernommen wurde. Immerhin 31 Prozent, nach anderen Umfragen 28 Prozent würden den Verein noch wählen, wenn morgen Bundestagswahlen wären. Und überhaupt: Die Partei ist ja ein international operierendes Unternehmen. Auch in Island gibt es die Christlichen Demokraten. Ihr Prozentanteil kommt nach einer repräsentativen Gallup-Umfrage gleich nach dem der Anarchisten: Während die Anarchisten mit 0,2 Prozent deutlich den Einzug in das Althing verpassen würden, wären die isländischen christlichen Demokraten bei dem gerade ermittelten Umfragewert von 0,0 Prozent regelrecht unsichtbar. Zu den vorherrschenden Themen der bisher nur in Reykjavík und einem Bezirk der Halbinsel Reykjanes antretenden christdemokratischen Partei gehört die Forderung nach sofortigem Verbot der Abtreibung, der Aussetzung jeglicher staatlicher Unterstützung schwul-lesbischer Initiativen und der Einführung der Todesstrafe auf Island. Das klingt sehr radikal für ein Land, in dem seit dem Jahr 1117 das Boxen und andere Tätlichkeiten gesetzlich verboten sind und als Eingriff in die persönliche Würde streng geahndet werden.
Auch in Deutschland steht die CDU für Recht und Ordnung, kämpfen Teile ihrer Mitglieder gegen Abtreibung und schwul-lesbische Gleichstellung. Wenn es noch irgendwo Befürworter der Todesstrafe gibt, vermuten wir sie eher dort als bei SPD, den Grünen, der PDS oder FDP. Doch in der Kunstwelt gilt die heimische CDU überraschenderweise als vergleichsweise moderat – von Ausfällen wie den von Ex-Bundestagsvizepräsident Jenninger 1976 zerfetzten Staeck-Plakaten einmal abgesehen. Nicht wenige Künstler rühmen da – wenn auch hinter vorgehaltener Hand – eine gewisse Offenheit, einen Pragmatismus, den SPD und Grüne nicht unbedingt aufweisen würden.
Der moderne Künstler fühlt sich dennoch eher dem linken Spektrum verpflichtet. Unvergessen, wie Beuys seinen Kollegen Warhol dazu gebracht hat, ein hübsches Plakat für die Grünen zu gestalten („Wählt die Grünen!“) – und die grünen Parteifunktionäre es ablehnten. Schön dumm. Das war vor zwanzig Jahren. Wenn nun die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer in ihrer Rolle als selbst ernannte Kunstkennerin in Hans Haackes politisch korrekter und dadurch so uninspirierender Installation „Der Bevölkerung“ irgendwelche politisch inkorrekte Tendenzen erblickt, scheint sich ein Vorurteil zu bestätigen. Nämlich dass Sozialdemokraten und Grüne in pädagogischem Eifer gern über etwas urteilen möchten, von dem sie im Grunde keine Ahnung haben.
Zum Beispiel über Kunst. Wenn’s hoch kommt, entscheiden sie sich letztlich für einen bronzenen Willy Brandt im Stil des wilden Realismus oder attestieren dem Realistenkitsch von Helnwein garantierte Scientologiefreiheit. Die CDU wirkt da irgendwie toleranter. Sie nimmt die Kunst eben nicht so superernst. Das ist ihr Geheimnis. Sie weiß, dass das Kunstsystem kein Deut heiliger oder integrer ist als das Kirchen- oder Parteiensystem und damit auch die Kunst selbst, die da transportiert wird. Sie weiß, dass große Firmen, Banken und Millionäre moderne Kunst sammeln, Kunst vor allem erst einmal Kapitalanlage ist und auch ein äußerst kritisch gemeintes Kunstwerk noch lange keinen Börseneinbruch oder eine Revolution verursacht. Die CDU wird für ihre Ahnengalerie im neuen Parteizentrum das Kohl-Porträt einfach bei einem supermodernen Konzeptkünstler bestellen: weißer Kreis auf schwarzem Grund.
Ob Rita Süssmuth, die Hans Haakes Arbeit ganz gut findet – frei nach dem Motto: „Kunst stellt immer Fragen, ist kritisch und provoziert“ –, ihre Lehre aus einer seinerzeit ausgesprochen provokanten Aktion aus dem Jahre des Mauerbaus „Beuys empfiehlt die Erhöhung der Berliner Mauer um 5 cm (zwecks besserer Proportion)“ gezogen hat? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass der unendlich langweilende Bundespräsident Rau (SPD) Beuys aus dem Hochschuldienst entließ, weil der politisch wurde und den Numerus Clausus für Kunststudenten abschaffte – in seiner Klasse jedenfalls. Beuys nannte Rau im Gegenzug den „Anti-Christen“.
Der rheinische Schamane konnte natürlich nicht ahnen, dass Rau nach seinem Tod in der Ständigen Vertretung in Ostberlin die erste Beuys-Ausstellung auf dem Territorium der DDR mit warmen, fürsorglichen Worten eröffnen würde. Liebet eure Feinde. Auch die Deutsche Bank sammelt Grafiken und Drucke des Grünen-Mitbegründers Beuys, komplett und unbeeindruckt von dessen politischen Aktivitäten. Einst sah man sich da vor der Situation gestellt, eine Grafik zu erwerben, auf der in großen Lettern prangte: „Letzte Warnung an die Deutsche Bank! Beim nächsten Mal werden Namen und Begriffe genannt!“ Auch das kam in die Sammlung, selbstverständlich, kein Problem. In den Kunstkatalogen ist im Gegenzug heutzutage Beuys’ Parteizugehörigkeit kaum eine Randnotiz wert; dabei war er 1979 sogar mal Spitzenkandidat für das Europäische Parlament und holte bei den Europawahlen 2,9 Prozent für die Grünen, damals ein Riesenerfolg.
Der fröhlich-unbeschwerte Umgang der CDU mit der modernen Kunst zeigte sich vor einigen Jahren recht deutlich, als Helmut Kohl frei nach dem Beuys-Motto „Jeder ist ein Künstler“ eine vergrößerte Reproduktion der Mutter-Kind-Plastik von Käthe Kollwitz herstellen und in die Neue Wache stellen ließ. Clever oder einfach nur unverfroren? Erwähnenswert ist auf jeden Fall, dass Käthe Kollwitz eine Kommunistin war, die Großfürst Kohl mit seiner künstlerischen Entscheidung politisch rehabilitierte, wie später die Ex-Grüne Vera Lengsfeld und zuvor die gesamte Kollektion der CDU-Blockflöten. Bei Kollwitz allerdings posthum. Wichtig dabei auch, dass die Künstlerin eine Vertreterin des Realismus war und gerade auch unter den offiziellen Kulturvertretern der DDR höchste Wertschätzung genoss. Nicht zu vergessen: Das Motiv „Mutter und Kind“ passt gut ins Familienbild der CDU, bei der der Vater nur abwesend ist, weil er gerade bei der Arbeit oder im Krieg ist.
In diese Verbindungen zwischen Kunst und Politik passt auch die selten dumme Lichtinstallation des Künstlers Gert Hof anlässlich des Jahresendes in Berlin. Nicht nur, dass der erste Entwurf eine stumpfe Kopie von Albert Speers Lichtdom war, ein mit großem Aufwand erzeugtes kitschiges, pathetisches Spektakel, nein, das Schlimmste ist, dass der Künstler, nachdem der Vorwurf fällt, sein Lichtwerk erinnere an faschistische Ästhetik, dieses völlig verändert. Die weißen Strahler leuchteten nun bonbonfarben, wiesen nicht mehr streng nach oben in eine Richtung, sondern kreuzten sich verspielt und bunt in der Halbvertikalen. Schön auch, dass das Publikum nicht mehr mit schräg erhobenem Arm Taschenlampen gegen die Siegessäule richten musste – der Hitlergruß als Freudscher Versprecher? –, sondern mit der nun freien Hand Bratwurst essen und Bier trinken konnte. Hier zeigt sich ein neuer Künstlertypus, der clevere Manager, der mit Millionen hantiert und überhaupt nichts mehr zu sagen hat. Er macht das, was er als beeindruckend kennt, und wird nur ansatzweise ein bisschen kreativ, wenn seine Ware Anstoß erregt und Gefahr läuft, im Verkaufsregal liegenzubleiben. Er könnte genauso gut Geschäftsführer einer riesigen Vorstadtdisko sein, erfolgreicher Verkäufer von Lebensversicherungen, Hot Dogs, Butterfahrten oder Minister einer großen Koalition, irgendwo, irgendwie.
Die einzige Rettung brachte da kein Kunstkritiker, sondern ein ungewöhnliches Naturphänomen, der dichte Nebel nämlich, den ein paar angeheiterte Elfen just am Jahresende über den Lichterreigen stülpten und der die Strahlen, die eigentlich bis nach Dresden und Hamburg leuchten sollten, schon auf Höhe des Bratwursthorizonts stoppte.
Trotzdem, der Anpassungsprozess im Kunstbetrieb ist so weit gediehen, dass sich ernsthaft die Frage stellt, welche tiefen Spuren Dr. Kohleone und seine geistig-moralische Wende eigentlich bei Kuratoren, Sammlern, Künstlern und Kritikern, ja beim gesamten Kunstbetrieb hinterlassen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen