: Wie Nationalsozialisten das BKA aufbauten
Man nannte sie die „Charlottenburger“, weil sie an der Führerschule der Sicherheitspolizei in Berlin-Charlottenburg ausgebildet wurden. Nach dem Krieg war die alte Nazi-Seilschaft wieder im Einsatz: bei der Gründung des Bundeskriminalamtes. Von DIETER SCHENK
Die fachlichen und organisatorischen Fähigkeiten erlernten Rolf Holle und Dr. Bernhard Niggemeyer im Reichssicherheitshauptamt, Paul Dickopf als Spezialist des Sicherheitsdienstes (SD). Diese Hintergründe wurden erst 1972, nach Dickopfs Tod, aus dessen persönlichem Aktennachlass offenbar. BKA-Präsident Horst Herold beauftragte 1976 den Kriminaldirektor Helmut Prante mit einer Auswertung. Der Kriminalist rätselte, ob sich Dickopf bei der Gründung des BKA des US-Geheimdienstes bediente oder ob es umgekehrt war. Auf jeden Fall müsse die Geschichte des BKA neu geschrieben werden.
Dazu kam es nicht, denn die Terrorismusbekämpfung genoss absoluten Vorrang, und Herold hatte nach eigenen Angaben den Kopf nicht frei für Vergangenheitsbewältigung. Dr. Helmut Mertz, Leiter der Verwaltungsabteilung, verfügte die zur Verschlusssache erklärten und versiegelten Akten an das Bundesarchiv Koblenz mit einer Benutzersperre bis zum 1. Januar 2000. Noch 1997 lehnte das BKA den Antrag des Verfassers, das Archivgut für eine Herold-Biografie auswerten zu dürfen, mit der fragwürdigen Begründung ab, dass die Freigabe „dem Willen des Paul Dickopf widerspräche“. Nachfolgend werden Berichte, Briefe, Notizen, Lebensläufe und amtliche Schriftstücke dieses Materials und Archivunterlagen des ehemaligen Berlin Document Centers sowie Zeitzeugen zitiert.
Zentrale Figur der BKA-Geschichte ist Paul Dickopf. Nachdem er zur Forstlaufbahn nicht zugelassen worden war und ein Jurastudium abbrach, entschied er sich 1936 für die Reichskriminalpolizei. Den Kommissar-Lehrgang schloss er mit „gut“ und der Beurteilung ab: „Dickopf ist nach Charaktereigenschaften, Haltung, Auftreten und Wissen ein durchaus geeigneter SS-Führer.“ Er wurde zum Kriminalkommissar mit dem Angleichungsdienstgrad SS-Untersturmführer befördert und versah zunächst Dienst in Karlsruhe. Bereits Ende 1939 erfolgte Dickopfs Versetzung zu einer Abwehrstelle in Stuttgart, wo er sich mit Spionage und Gegenspionage befasste. 1942 ordnete ihn die Berliner Canaris-Zentrale nach Paris ab, weil er einen Posten in der Schweiz übernehmen sollte.
Nach eigenem Bekunden wollte Dickopf jedoch mit dem NS-Regime brechen, tauchte in Paris unter und hielt sich mit Unterstützung eines „Schweizer Freundes“ für etwa ein Jahr in Brüssel verborgen, um sich am 7. Juli 1943 in die Schweiz abzusetzen. Dort wurde er als politischer Flüchtling anerkannt und fertigte Dossiers über die deutsche Abwehr, den Sicherheitsdienst und die Geheime Staatspolizei für die Schweizer Bundespolizei und für den US-Geheimdienst bei der amerikanischen Gesandtschaft in Bern an. Er gab sich als Gegner des Nationalsozialismus aus und bezeichnete sich nach dem Krieg als Widerstandskämpfer.
Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass dies nur die halbe Wahrheit ist. Zwar wurde Dickopf seit Mai 1943 im deutschen Fahndungsbuch ausgeschrieben, jedoch weisen die Akten keine Fahndungsaktivitäten aus. Seiner Ehefrau wurde das Gehalt bis zum 1. Januar 1944 weiter gezahlt. Gravierende Gründe nähren den Verdacht, dass die Flucht aus Paris vorgetäuscht war, um den „politischen Flüchtling“ in der Schweiz zu etablieren und als Doppelagenten einzusetzen. Denn es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Schweizer Freund, der Dickopfs Unterkunft und Lebensunterhalt in Brüssel und Lausanne bestritt, um einen glühenden Verehrer des Nationalsozialismus handelte: François Genoud, der nach dem Krieg mit Urheberrechten – beispielsweise an den Goebbels-Tagebüchern – und Devotionalien Bormanns Geschäfte trieb.Dickopf entwickelte bereits 1946 Pläne für den Aufbau eines „Antikommunistischen Nachrichtendienstes“. Seine Auftraggeber zählten weiterhin zum Außenposten des Office of Strategic Services (OSS) in Bern, einem Vorläufer der CIA. Dickopf entwarf Pläne, die gesamte „Ostzone“ mit einem Netz von Vertrauensleuten zu überziehen. „Die hierzu geeigneten Leute sind vorhanden und bedürfen nur genauer Anweisungen.“ Auch bot er an, mit früheren Berufskameraden in Verbindung zu treten. „Ich sehe hier außerordentliche Möglichkeiten, die nicht ungenutzt bleiben sollten, (...) eine Bresche in die deutsch-kommunistische Front zu schlagen.“
1948 wurde Dickopf mit Hilfe einer Bescheinigung der Bundesanwaltschaft Bern durch die Wiesbadener Spruchkammer im Entnazifizierungsverfahren als Entlasteter (Gruppe 5) eingestuft. Jetzt widmete er sich der Sammlung von Material für den Aufbau einer „Kriminalpolizeilichen Zentralstelle für den Bereich der westdeutschen Länder“ und nahm Verbindung zu seinem Freund und Charlottenburger Lehrgangskollegen Rolf Holle auf. Holle, NSDAP-Mitglied seit 1937, kam über die Kripo Erfurt in das Reichssicherheitshauptamt, wo er am 20. April 1943 zum SS-Hauptsturmführer (SS-Nr. 327259) befördert wurde.
Die dritte Führungskraft, Dr. Bernhard Niggemeyer, war in den ersten Kriegsjahren als Direktor der Geheimen Feldpolizei eingesetzt und ab September 1943 im RSHA im Amt IV, Gegnererforschung und -bekämpfung, tätig. Zum Amt IV gehörte auch die Dienststelle Adolf Eichmanns (IV B 4).
Durch die Verschärfung der Ost-West-Gegensätze und den Kalten Krieg spielte es ab Ende der Vierzigerjahre im Nachkriegsdeutschland immer weniger eine Rolle, welche NS-Vergangenheit diese Leute aufwiesen. Man glaubte vielmehr, sie seien als Spezialisten unentbehrlich. Ab August 1948 nahm der Parlamentarische Rat seine Arbeit auf und schuf eine Verfassung, welche auf Grund der negativen Erfahrungen in der NS-Zeit Machtkonzentrationen vermeiden wollte und die Polizei zur Ländersache erklärte. Die Väter des deutschen Grundgesetzes hatten sich wahrscheinlich nicht vorgestellt, wie quasi durch die Hintertür Angehörige des ehemaligen Reichssicherheitshauptamts und anderer NS-Sicherheitsbehörden die Regie führten.
Das Duo Dickopf/Holle leistete zunächst organisatorische Pionierarbeit beim Aufbau des BKA. Holle war bereits 1949 als Oberinspektor beim Kriminalpolizeiamt der Britischen Zone in Hamburg in Amt und Brot. Man munkelte, seine Entnazifizierungsakte sei bei einem Behördenumzug verloren gegangen. Die Hamburger Behörde hatte 48 Angehörige des ehemaligen Reichskriminalpolizeiamts (RKPA) unter ihre Fittiche genommen (das RKPA war gleichzeitig Amt V des Reichssicherheitshauptamtes).
Äußerst geschickt trieb Dickopf zwischen 1949 und 1951 ein Doppelspiel. Einerseits schwor er amerikanische Dienststellen, die als Besatzungsmacht Mitsprache beanspruchten, auf seine Pläne ein („...nicht ganz ohne mein Zutun sind die Amerikaner auf Touren gekommen“) und schrieb unverblümt in einem Lagebericht: „Falsch verstandene Denazifizierung und daraus resultierende Nichtbeschäftigung nominell belasteter ehemaliger Kriminalbeamter stellen den Wiederaufbau in Frage.“ Andererseits beeinflusste er die Bundesregierung unter Konrad Adenauer, die ihn – den Privatmann – als Fachberater für unentbehrlich hielt. Als Adenauer Bedenken äußerte, ehemalige SS-Angehörige einzustellen, schrieb Dickopf: „Ich bemerke hierzu, dass ich mich veranlasst gesehen habe, die amerikanische Militärregierung von der Auffassung des Bundeskanzlers zu unterrichten. Ich lasse keinen Zweifel darüber, dass ich gegebenenfalls alle Mittel in Bewegung setzen werde, um eine öffentliche Erklärung Dr. Adenauers zu dem strittigen Punkt herbeizuführen und zum anderen eine Kettenreaktion in Gang zu setzen, über deren Folge ich mir nicht den Kopf zerbrechen werde.“
Rolf Holle fungierte als Dickopfs wichtigster Berater und arbeitete ihm zu, da er über statistisches und sonstiges Hintergrundmaterial des Hamburger Amtes und dessen bürokratischen Apparat verfügte. Beide trafen sich regelmäßig an Dickopfs Wohnsitz in Hattert im Westerwald. Dickopf erstellte Organigramme und Stellengliederungspläne, kalkulierte Personalstärken und befruchtete den Referentenentwurf des BKA-Gesetzes, das am 8. März 1951 vom Bundestag beschlossen werden sollte. Das Grundgesetz sah die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamts mit Zentralstellen für das polizeiliche Auskunfts- und Nachrichtenwesen vor.In Limburg, auf halber Strecke zwischen dem Westerwald und Frankfurt, traf Dickopf regelmäßig seinen Gesprächspartner der Besatzungsmächte, Mister Tom Polgar. Während die Amerikaner an Dickopfs weiße Weste glaubten, bereitete die Wiedereinstellung Dickopfs der Ministerialbürokratie des Bonner Innenressorts Probleme. Seine Vergangenheit erschien dubios. Bundesinnenminister Dr. Gustav Heinemann (damals noch CDU-Mitglied, Rücktritt als Innenminister am 11. Oktober 1950) misstraute Dickopf, sodass der sich veranlasst sah, seine Bewerbungsschreiben und Lebensläufe mehrfach – und nicht ohne Widersprüche – zu modifizieren. Am 21. März 1950 unterzog der Innenminister Dickopf einer eingehenden Befragung. Heinemann wurde dabei von seinem Staatssekretär Ritter von Lex und dem Ministerialdirektor (Abteilungsleiter) Egidi assistiert. Immerhin gelang es Dickopf, das Gremium von sich zu überzeugen.
Auf die Personalentscheidung, wer erster Chef des Bundeskriminalamtes werden sollte, nahm Dickopf massiven Einfluss. Einer der Kandidaten war Polizeipräsident Klapproth aus Frankfurt. Am 8. Januar 1951 schrieb Dickopf dem Referenten für Sicherheitsfragen im Bundesinnenministerium (BMI), Geheimrat Dr. Max Hagemann: „Klapproth hat sich bis heute geweigert, einen durch Mitgliedschaft in der NSDAP o. ä. ,belasteten‘ früheren Kriminalbeamten wieder einzustellen; dies hat dazu geführt, dass von den ab Herbst 1945 zur Kripo der Stadt Frankfurt gekommenen ca. 250 Beamten rund 200 wieder entlassen werden mussten.“ Dies gewinne umso mehr Gewicht, fuhr Dickopf fort, weil Klapproth wie auch der Kripochef und sein Vertreter langjährige Angehörige der SPD seien.
Für den Lobbyisten und BKA-Mann war die SPD ein rotes Tuch, allen voran der Parteivorsitzende Dr. Kurt Schumacher. An Dr. Hagemann berichtete der parteilose Dickopf am 2. August 1949: „Ohne Übertreibung kann deshalb gesagt werden, dass Schumacher (...) geneigt sein wird, einem Vorschlag zuzustimmen, der das künftige BKA als Superzentrale der politischen Polizei und als Machtinstrument zur Verwirklichung sozialdemokratischer Parteiziele in den westdeutschen Ländern sieht.“ Schließlich diffamierte Dickopf in einem Brief an seinen Freund Holle am 22. September 1949 Kurt Schumacher als „Goebbels-Schumacher“.
In der Denkweise eines Paul Dickopf verschwammen Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten zu einem Bild, das im Trend der Zeit lag. Die Welt war inzwischen in zwei Machtblöcke aufgeteilt, und der Amerikaner Polgar hatte keine Probleme mit „alten Nazis“, sofern sie im westlichen Lager standen. In einem Gesprächsprotokoll vom 9. Dezember 1949 notierte Dickopf: „Zur personellen Besetzung des BKA erklärt Mr. P., dass keinerlei Einwendungen gegen die Beschäftigung von in Gruppen 4 bzw. 5 [der Entnazifizierung, Anm. d. A.] eingestuften ehemaligen Kriminalbeamten gemacht werden und dass auch die nominelle Zugehörigkeit zur SS bzw. SD keinen Ausschließungsgrund bedeute. (...) Die bisherige Praxis habe dazu geführt, dass viele ,verhinderte‘ Nazis in maßgebliche Stellungen berufen worden seien, während fachlich ausgezeichnete Kräfte wegen irgendwelcher nomineller Belastungen für ihren früheren Beruf verloren gegangen seien.“
Einer der Kandidaten auf ein Führungsamt war Bernhard Niggemeyer, dessen Wiederverwendung Dickopf indes zu verhindern suchte: „Damals begeisterter junger Nazi-Kommissar, heute Katholik und morgen?“ Allerdings spielte in Dickopfs Überlegungen keine Rolle, an welchen Verbrechen Dr. Niggemeyer beteiligt gewesen sein könnte, als er mit der Geheimen Feldpolizei in Russland und ab 1943 in der Terrorzentrale der Berliner Prinz-Albrecht-Straße unter dem wegen seiner Brutalität gefürchteten Abteilungsleiter Heinrich Müller („Gestapo-Müller“) eingesetzt war.
Doch setzte sich Dickopf nicht durch. Niggemeyer baute das Kriminalistische Institut im BKA auf und genoss besonders als Leiter von Tagungen einen internationalen Ruf; gegen die Freunde Holl und Dickopf konnte er sich aber nie behaupten. Dickopfs Vorgesetzter Reinhard Dullien beurteilte den Westerwälder wie folgt: „Intriganter, aber nicht unintelligenter, vor allem in der mündlichen Darstellung überzeugungsbegabter Mann, der jedoch im Grunde über das Blickfeld eines 1937/38 fachgeschulten Regierungsinspektors nicht hinausgewachsen war. (...) Er hatte eine vorgefasste Meinung gegen alle, die ein mit dem Staatsexamen abgeschlossenes Studium aufweisen konnten, während ihm diese Prüfung fehlte.“
Außer der Nazi-Seilschaft „Charlottenburger“ gab es noch eine Unterseilschaft, die man die „Kattowitzer und Gleiwitzer“ nennen könnte. Dort versahen sie während des Krieges Dienst. Man kann vermuten, dass der seinerzeitige Personal- und Verwaltungschef des BKA, Oberregierungskriminalrat Michael (Michalski eingedeutscht), der in Gleiwitz tätig war, als Ziehvater dieser Mannschaft gilt. Ihm wird die Marotte nachgesagt, er sei ständig mit zwei untergeschnallten Pistolen herumgelaufen. Die NS-Karrieredaten dieser Herren lassen sich allesamt in den Archivalien des ehemaligen Berlin Document Center nachlesen und sind sich häufig ähnlich.
Nicht wenige „Charlottenburger“ tauchten auch im Frankfurter Einsatzgruppenprozess 1964 auf, manche wurden vernommen, die meisten nur als Zeugen. Verdichtete sich im Einzelfall der Verdacht, schob man den Betreffenden an eine andere Behörde ab, zum Beispiel in das Bundesamt für Geodäsie, das BKA sollte sauber bleiben.
Disziplinarverfahren verliefen in der Regel im Sand. Als Dr. Herbert Schäfer, ein junger Jurist, in Vertretung des Bundesdisziplinaranwaltes ein Verfahren durchführen sollte, forderte der ahnungslose Nachkriegskriminalist bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt die Anklageschrift des Einsatzgruppen-Prozesses an. Das an ihn adressierte Paket wurde im BKA geöffnet, angehalten und Dickopf vorgelegt. Schäfer wurde vor den Präsidenten zitiert und ohne eine Begründung zurechtgewiesen: „Ich wünsche nicht, dass solche Akten in das Haus geschickt werden!“ In einer Abteilungsleiterbesprechung bemerkte der für seine Rachsucht bekannte Dickopf: „Der kriegt bei mir keinen Fuß mehr auf den Boden.“ So war es dann auch – Schäfer ließ sich nach Bremen versetzen und übernahm die Leitung des Landeskriminalamtes. Dort war wenige Monate zuvor sein Vorgänger Karl Schulz in den regulären Ruhestand getreten, der den Osteinsatz 1941 in einer Einsatzgruppe in Minsk unter Führung des Reichskriminaldirektors Arthur Nebe strafrechtlich schadlos überstanden hatte.
Spuren der „Charlottenburger“ gab es überall. Auch zum Beispiel in Koblenz. Hier wurde Georg Heuser, der Leiter des Landeskriminalamtes, festgenommen und wegen NS-Verbrechen zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt.
Als Angehöriger des BKA jedoch hat niemand eine Strafe für NS-Verbrechen verbüßt, verurteilt wurde nur einer: Kriminalrat Theo Saevecke. Mit der Verfügung „Saevecke ist sofort einzuberufen“, holte ihn Dickopf am 3. Januar 1952 ins Amt. Ausdrücklich war Staatssekretär Ritter von Lex in einer Vorlage informiert worden, dass dieser Beamte 1929 der NSDAP beigetreten war. Auch Saevecke genoss die Protektion der Amerikaner, denn er arbeitete nach dem Krieg bis 1951 in Berlin für die CIA, womit er sich noch heute gern brüstet. In der Sicherungsgruppe übernahm Saevecke das Ermittlungsreferat. Persönlich galt er als jungenhaft und liebenswürdig, im Dienst als Kommunistenhasser – eine Eigenschaft, die er mit vielen Kollegen damals teilte.
Als er 1955 auf Grund italienischen Belastungsmaterials vorübergehend vom Dienst suspendiert wurde, genoss er die tatkräftige Unterstützung seines Chefs, Dr. Ernst Brückner, denn schließlich saß dieser als ehemaliger Außenstellenleiter der Sicherheitspolizei in Tschenstochau (1941/1942) mit seinem Untergebenen in einem Boot. Saevecke konnte sich aber auch der Intervention des amerikanischen Counter Intelligence Corps (CIC) erfreuen, das an seiner Entlastung interessiert war. 1971 ging er in den regulären Ruhestand und lebt heute im Alter von 88 Jahren in Bad Rothenfelde bei Osnabrück.
Im April 1999 eröffnete ein Turiner Militärgericht den Prozess gegen ihn, den ehemaligen Chef der Sicherheitspolizei in Mailand, und verurteilte ihn wegen der öffentlichen Erschießung von vierzehn Geiseln am 10. August 1944 auf dem Mailänder Loretoplatz in Abwesenheit zum Tode.
Paul Dickopfs Karriere war nicht aufzuhalten. Zunächst repräsentierte er als Präsident der BKA-Abteilung Ausland die deutsche Polizei bei den jährlichen Interpol-Konferenzen. 1959 wurde er in das Interpol-Exekutivkomitee gewählt. In der Spiegel-Affäre beugte er sich in einem nächtlichen Telefongespräch dem Wunsch des Verteidigungsministers Franz Josef Strauß und leitete entgegen der Interpol-Bestimmungen einen Haftbefehl gegen den Spiegel-Redakteur Konrad Ahlers an Interpol Madrid weiter, was zu dessen Festnahme führte. Im Strafverfahren gegen Strauß bestritt Dickopf, jemals mit ihm in dieser Sache gesprochen zu haben; das Verfahren wurde eingestellt.
BKA-Präsident Dullien wurde zwangspensioniert und Dickopf von Innenminister Hermann Höcherl (CSU) am 15. Januar 1965 mit der Präsidentschaft belohnt. In der Pariser Interpol-Zentrale war es ein offenes Geheimnis, dass Dickopf die Wahl zum Interpol-Präsidenten im Jahre 1968 seinem Schweizer Nazi-Freund Genoud verdankte, der mit seinen Kontakten nach Algerien und Syrien die Delegierten der arabischen Staaten für den deutschen Kandidaten mobilisierte.
Am 29. Juni 1971 wurde Dickopf in den Ruhestand versetzt. Bundesinnenminister Genscher bezeichnete ihn bei der Verabschiedung als Vorbild für die gesamte Polizei der Bundesrepublik.
In der Öffentlichkeit machte in den fünfziger und sechziger Jahren allenfalls die Bonner Sicherungsgruppe des BKA von sich reden. „Wir haben in dieser Zeit einen Spion oder Kommunisten nach dem anderen hochgehen lassen.“ (Abteilungspräsident Günther Scheicher) Im Fadenkreuz stand der Ostblock, allen voran die DDR, während das Referat „Rechtsbewegungen“ ein kümmerliches Dasein fristete. Die Leute der SG (Sicherungsgruppe) blickten mit einer gewissen Überheblichkeit nach Wiesbaden und bezeichneten die Angehörigen des „Mutterhauses“ als Schreibtischkriminalisten. In der Tat hatte die Wiesbadener Behörde keine besondere Außenwirkung, verwaltete die Kriminalität, anstatt sie zu bekämpfen, und beschäftigte sich in vielen Bereichen mit sich selbst – ein grandioses Insidergeschäft, wie es der spätere BKA-Chef Horst Herold formulierte.
Nicht aufzufallen war die Devise der Amtsträger, was auf die Amtsausführung abfärbte. Dickopf führte die Abteilungen in Wiesbaden nach Gutsherrenart. Die „Charlottenburger“ sahen in ihm ihre Vaterfigur, die die Vergangenheit mit Schweigen zudeckte und über ihr Wohlergehen wachte. Sie alle verband Schwadronsgeist, Ideologie und die Bedrohung von außen. Die Auswirkungen auf die Führungsstrukturen waren allerdings so katastrophal, dass sie bis heute zu spüren sind.
Dieter Schenk war als Kriminaldirektor im BKA jahrelanger Berater des Auswärtigen Amtes in Fragen der Sicherheit des diplomatischen Dienstes im Ausland; 1981 schied er auf eigenen Antrag aus und arbeitet seitdem als freier Publizist. Seit 1998 ist er Honorarprofessor der Universität Lodz. 1998 erschien Schenks Herold-Biografie ,,Der Chef“. Sein jüngstes Buch ,,Hitlers Mann in Danzig – Gauleiter Forster und die NS-Verbrechen in Danzig-Westpreußen“ (Verlag Dietz, Bonn, 350 Seiten, 44 Mark) ist seit Februar im Handel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen