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Wiener Opferball

Leck den Schuh, gnä’ Frau! Österreich begrüßt stolz bayerische Bankvorstandsgattinnen

aus Wien PHILIPP MAUSSHARDT

Das hätte sich der Mann nie träumen lassen. Nie hätte Nursultan Nasarbajew sich vorzustellen gewagt, dass er, der Präsident der zentralasiatischen Republik Kasachstan, einmal der wichtigste und meistbeachtetste Staatsgast auf dem Wiener Opernball sein würde.

Aber am Donnerstag war es so. Mit gespielter Gelassenheit führte Österreichs Bundespräsident Thomas Klestil den staunenden Kasachen in die Mittelloge des Ballhauses, und alle taten, als sei das ganz normal. Weil kaum ein Ausländer in diesem Jahr dem schwarz-blau regierten Österreich die Ehre geben wollte, gierten die Veranstalter nach jedem noch so unbekannten Wesen, Hauptsache, es hatte einen anderen Pass. Hoch lebe Ljudmylla Kuchtschma, die Gattin den ukrainischen Präsidenten!

Wien tanzte am Donnerstagabend gleichzeitig auf drei Bühnen: Die größte war die Straße. Zwanzigtausend Demonstranten hatten die Oper umzingelt. Mehr als tausend Polizisten hielten sie allerdings so weit auf Distanz, dass ihre Pfiffe und Sprechchöre – „Zerschlagt den bürgerlichen Staat“ – schon hinter der Eingangstür der Oper nicht mehr zu hören waren.

Die abgelegenste Bühne war der III. Wiener (Schmuddel-)Bezirk. Eingekeilt zwischen Stundenhotels und Spelunken fand in den heruntergekommen Sofiensälen der dritte Wiener „Opferball“ statt – das Gegenstück zu Glamour und Glanz. Hier tanzte das arme Wien auf Einladung der Obdachlosen-Initiative „Augustin“. Doch davon nahm man im Zentrum Wiens nichts wahr.

Beinahe wäre der Auftakt des „Balls der Bälle“ in der Oper zur Peinlichkeit geraten. Wenige Minuten, bevor der österreichische Bundespräsident in seinem schwarzen Mercedes vorfuhr, war einem weißen Rolls-Royce der Kabarettist Hubsi Kramer als Adolf Hitler verkleidet entstiegen und mit lauten „Heil“-Rufen ins Opernfoyer gestürmt. Dort wurde er verhaftet.

Kramer war der einzige ungebetene Gast dieses Abends. Die vielen gebetenen Gäste, die nicht kamen, waren die eigentliche Sensation dieses österreichischen Gesellschaftsereignisses.

Den Versuch, sich über diese Kränkung nichts anmerken zu lassen, meisterten die Veranstalter so tapfer, wie es nur Österreicher können. Sie sprachen von „politischer Großwetterlage“, die sie zu „drastischen Programmänderungen gezwungen“ habe, und sie küssten nicht nur die Hände, sondern leckten quasi die Schuhe jedes noch so unbedeutenden Ballgastes von jenseits der Grenze.

Der Opernball als Opferball.

Die Bayern taten ihren Nachbarn südlicherseits noch am ehesten den Gefallen: Mit Finanzminister Kurt Faltlhauser war immerhin ein CSU-Kabinettsmitglied erschienen, und in der noch am Abend verteilten Ballzeitung teilte man dann erleichtert mit, dass aus dem Freistaat sogar „hochkarätige Bankvorstände samt ihren eleganten Damen“ angereist waren.

Na also.

Die neue politische Südachse Wien–München demonstrierte auch der Bayerische Rundfunk, der als einziger Sender außerhalb Österreichs das Ballereignis live übertrug. Alles Walzer zwischen Haider und Stoiber? Lange vor der jetzigen kulturellen Koalitionsbildung hatte es schließlich informelle Kontakte zwischen der FPÖ und der CSU gegeben. Damals traf man sich allerdings privat.

Die ewige und immer spannende Frage, mit wem – außer seiner eigenen Frau „Mausi“ – kommt der Wiener Bauunternehmer Richard Lugner, genannt „Lugi“ oder auch „Mörtel“, beantwortete sich in diesem Jahr auf originelle Weise: Erst hatten ihm die Schauspielerinnen Claudia Cardinale und Cathérine Deneuve und Jacqueline Bisset abgesagt. Dann hatte ihm Nadja Abdel Farrag, die Peep-Naddel, zugesagt. Dann wieder hatte ihm die Bisset doch zugesagt, aber gleich wieder abgesagt und ist dann trotzdem gekommen. Die Lage war verwirrend. „Lugi“ also, von mehr Frauen, als er Arme hat, begleitet, stieg die Treppe wieder als der unschlagbare Sieger dieses Balls hinauf und alle bewunderten ihn.

Österreich allein zu Haus. Nicht einmal die portugiesische Band „Madredeus“ wollte im Haider-Land mehr für Stimmung sorgen. So drohte das Ballmotto „Portugal“ – die Portugiesen haben in diesem Jahr den EU-Vorsitz – völlig zu zerbröseln, nachdem auch noch die portugiesischen Blumenhändler ihre Zusage, 1.500 Orchideen aus Madeira zu liefern, zurückzuziehen ankündigten. Einzig im Kellercafé der Oper deutete ein armseliger portugiesischer „Vorspeisenteller“ am Ende noch darauf hin, dass hier irgendetwas an Internationalität einmal geplant war.

Noch nie – nicht einmal 1987, als Franz Josef Strauß selig auf dem Wiener Heldengedenkplatz mit Eiern und Tomaten beworfen wurde – war der Opernball derart zum Politikum geworden.

Der wichtigste Mann, um den sich dieses Jahr der Walzer drehte, kam nicht: Manche hatten bis zuletzt gehofft oder gefürchtet, Jörg Haider würde sich trotz gegenteiliger Beteuerungen blicken lassen. Schließlich weiß man beim Jörgl ja nie. Doch wo er als Gespenst schon so präsent ist, da hielt er die physische Anwesenheit wohl eher für überflüssig. Vielleicht war es aber auch der letzte Restaurantbesuch in Wien, als er zusammen mit seiner Familie von Demonstranten beim Essen überrascht und festgesetzt wurde. Seither hat er zur Masse ein ambivalentes Verhältnis. Die Macht-Demonstration der FPÖ überließ er seinen Ministern, die durch Vollzähligkeit trotzten. Die wenigen erschienenen Sozialdemokraten, Wiens Ex- und aktueller Bürgermeister, Helmut Zilk und Michael Häupl, begrenzten daher ihr Erscheinen zeitlich auf das absolute Mindestmaß an „vaterländischer Pflicht“, wie Ex-Bürgermeister Zilk sagte.

Ansonsten ein Ball, der in puncto gepflegter Langeweile seinen 45 Vorgängern in nichts nachstand: Die 336 Debütanten hatten schrecklich Lampenfieber und ihre Eltern in den Logen atmeten erst auf, als der Eröffnungs-Strauß-Walzer „Mein Lebenslauf ist Lieb’ und Lust“ ohne Unfälle zu Ende ging (Linksverkehr!). Eine Mutter im Parkett fiel vor meinen Augen in Ohnmacht. Ich lief in den Keller, einen Arzt zu suchen.

Rund viertausend zahlende Gäste, vom Stehplatz für 150 Mark bis zur Promi-Loge für 27.000 Mark bescherten auf diese Weise der Wiener Oper ihren einzigen Gewinn bringenden Abend im Jahr.

Erleichterung herrschte am Ende auch draußen: Nachdem die Demonstranten die Oper mehrfach umrundet und ihre Plakate „Widerstand“ und „Nieder mit der FPÖ“ hochgehalten hatten, gingen sie friedlich ihrer Wege. Dabei zogen sie einen doppeltmannshohen trojanischen Esel hinter sich her.

Fracksausen brauchte vor diesen Menschen niemand zu haben. Sie waren schließlich bereits in Feierlaune gekommen, kostümiert als Esel, Mickymäuse oder Prinzessinnen: Straßenfasching eben.

Doch wenn Steine geflogen wären, hätten die „anständigen Österreicher“ auch dafür schon die Schuldigen gefunden: Schon wieder die Ausländer. Die Wiener Kronen Zeitung, Volkes Stimme in gedruckter Form, warnte seit Tagen vor „hunderten von ausländischen Chaoten, die in Wien untergetaucht sind“.

Dass verschiedene Welten oft nur wenige hundert Meter entfernt liegen, zeigte sich am Donnerstag in den Sofiensälen. Auch dort wurde getanzt. Auch dort gab es Logen. Auch dort hatten sich die Gäste hergerichtet. Die „Sandler“, also Obdachlosen, hatten eingeladen, und zweitausend waren gekommen – ein halber Opernball. Die Gesichter zahnloser junger Männer, die von Alkohol ausgelaugten Körper, die durch Krücken ersetzten abgefrorenen Gliedmaßen erzählten andere Geschichten.

Auf der Bühne spielte eine schlechte Band „Power to the people“ und man trank Bier aus Flaschen. Wiens Habenichtse fordern mit dem „Opferball“ den Fasching zurück: „Er hat immer dem Volk gehört“, sagt Veranstalter Robert Sommer. Sommer schätzt die Zahl der Obdachlosen in Wien auf gut zehntausend Menschen, Tendenz steigend. „Wir sind kein Anti-Opernball, aber wir haben auch ein Recht zu feiern.“

Wien am Donnerstag: Hauptsache, es wird getanzt.

Nur die Formen unterscheiden sich. Ein „Sandler“ verteilt am Eingang ein selbst gemachtes Flugblatt. „Ich ekle mich vor der Partei des kleinen Mannes“, steht darauf. Dass einige der Gäste, denen er sein Flugblatt überreicht, auch einen Frack angezogen haben, quittiert er mit den Worten: „Wär doch nicht nötig gewesen.“

Die Stimmung im Saal wird immer fröhlicher. Nicht weit von meinem Kopf entfernt zerschellte eine Bierflasche an der Wand. Ich half, den betrunkenen Flaschenwerfer aus dem Saal zu schieben.

Schön, dass man helfen kann, hier wie dort.

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