Wien tanzt den Protestwalzer

Österreichs Regierung feiert auf dem Opernball ohne internationales Polit-Publikum. Draußen geben sich 20.000 Demonstranten die Ehre. FPÖ-Chefin Riess-Passer giftet gegen EU-Sanktionen

WIEN taz ■ Österreichs Regierung befindet sich einsam auf glattem Parkett. Während sich auf dem Wiener Opernball Politiker der Koalition aus SPÖ und ÖVP weitgehend um sich selbst drehten, tanzten am Donnerstag vor dem abgeschirmten Gebäude 20.000 Demonstranten auf einem „antifaschistischen Karneval“.

Dem per Kabinettsbeschluss zum „Staatsball“ erhobenen wichtigsten gesellschaftlichen Ereignis der Alpenrepublik waren viele Prominente aus dem Ausland aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung der rechtsradikalen FPÖ ferngeblieben. Doch die blau-schwarzen Koalitionspolitiker mimten Gelassenheit. Wie sehr sie sich allerdings über die internationale Isolation ärgern, bewies die Haider-Nachfolgerin im Amt als Parteivorsitzende, Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, schon einen Tag nach dem Ball: Die EU-Regierungen schneiden Österreich nur deshalb, „weil wir keine sozialistische Regierung sind“, sagte „Königskobra“ (auf dem Ball: in grüner Seide) Riess der österreichischen Nachrichtenagentur APA gestern. Das Einfrieren der Beziehungen seitens der anderen 14 EU-Staaten nannte Riess-Passer eine „reine Unrechtsaktion der EU“ und geißelte die „Scheinheiligkeit der Sanktionen“. Österreich, drohte sie, werde seine Rechte innerhalb der Union schon geltend machen. Ob man dazu sein Veto einsetzen werde, hänge davon ab, wie man Österreich in den europäischen Gremien behandeln werde, verkündete die Vizekanzlerin. Vom Kanzler Schüssel war darüber gestern nichts zu erfahren.

Europäischerseits erhalten die Blau-Schwarzen (alle Damen in Blau waren auf dem Opernball gehalten, sich zu rechtfertigen) derzeit nur von den Bayern Unterstützung. Die CSU in Person ihres Finanzministers Kurt Faltlhauser durchbrach den Ballboykott. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel dankte es ihm mit einem besonders herzlichen Empfang. Ansonsten hatte sich nur ein einziger ausländischer Politiker auf den Ball verirrt: der Präsident von Kasachstan, Nursultan Nasarbajew.

Während an der Oper mehr als 4.000 Gäste in Frack und Abendroben über das Parkett schoben, feierten die Obdachlosen von Wien in einem vom Abriss bedrohten Gebäude ihren „Opferball“. Dort tanzten sie die ganze Nacht gegen Sozialabbau und Kürzung ihrer Unterstützung. PHILIPP MAUSSHARDT

Reportage, SEITE 3