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ÄrztInnen warnen vor einer Zwei-Klassen-Abtreibung

GynäkologInnen lehnen oft Medikamenten-Abbruch ab, weil sie bei einkommensschwachen Frauen zu wenig daran verdienen. Senat zahlt nicht

Seit Ende November können schwangere Frauen mit der Abtreibungspille Mifegyne abtreiben. Doch die Kostenübernahme für einkommensschwache Frauen ist nach wie vor nicht geklärt. Die Beratungstelle ProFamilia befürchtete gestern „eine Zwei-Klassen-Medizin“. Nur die Frauen, die Abbruch selbst zahlen, können mit dem Medikament abtreiben, kritisierte Pro-Familia-Ärztin Gisela Gröschl.

Als einkommensschwach gelten fast 85 Prozent der Frauen, die abbrechen. Hier übernimmt der Senat die Kosten für die Abtreibung. Wer nicht mehr als 1.600 Mark im Ostteil und 1.700 Mark im Westteil verdient, bekommt die finanzielle Hilfe. Den Senat kosten die Abtreibungen 6,5 Millionen Mark jährlich.

Ein herkömmlicher Abbruch mit Vollnarkose schlägt derzeit mit 650 Mark zu Buche, einer mit Lokalanästhesie 371 Mark. Der bundesweiter Bewertungsausschuss, in dem Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigung sitzen, hat kürzlich festgelegt, dass ein medikamentöser Abbruch 334 Mark wert ist. Darin sind bereits 160 Mark für Mifegyne enthalten. Der Rest bleibt den ÄrztInnen. „Für diesen Preis können wir den Abbruch nicht machen“, sagt Ansgar Pett, der eine ambulante chirurgische Praxis in Kreuzberg betreibt. Der Abbruch mit Mifegyne ist zwar schonender, dauert aber länger. Die Frauen müssen mehrere Male zur Medikamenteneinnahme kommen und nach der Einnahme der Wehen fördernden Mittel drei bis sechs Stunden medizinisch überwacht werden. Die Folge: Die Ärzte schicken die einkommensschwachen Frauen wieder weg, weil der Senat nur die Kosten übernimmt, die der Auschuss festgelegt hat. Frauen, die nicht unter die Härtefallklausel fallen, zahlen bei Pett mehr, er nimmt 650 Mark für einen Mifegyne-Abbruch.

Weil die ÄrztInnen so wenig am medikamentösen Abbruch verdienen, bieten bisher nur fünf GynäkologInnen in der Stadt die neue Methode an, 170 dagegen die herkömmliche. Seit der Einführung von Mifegyne haben lediglich 80 bis 100 Frauen mit dem Medikament abgetrieben. „Das Interesse ist aber wesentlich höher“, sagt Gisela Gröschl von ProFamila.

Die Mitarbeiterinnen des Familienplanungszentrum Balance forderten gestern die Gesundheitsverwaltung auf, den Verdienst für die GynäkologInnen zu erhöhen. „Das Land kann einen eigenen Weg gehen“, so Gynäkologin Sabine Müller, die bei Balance Abtriebungen anbietet.

Die Verwaltung von Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) wiegelt ab: „Dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage“, sagt der zuständige Jurist Reinhard Naumann. Eine Erhöhung könne nur der bundesweite Bewertungausschuss beschließen. Dieser sei in einem Brief dazu bereits aufgefordert worden. Naumann: „Wir nehmen das Problem sehr ernst.“ JULIA NAUMANN

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