: Systemveränderung von innen
Silke Kolwitz, Sprecherin des Bundes Netzwerkes Drogenpolitik (BND) bei Bündnis 90/Grüne, sagt, warum und wie sich die Drogenpolitik der Koalition dringend ändern muss. Ziel ist ein anderer Umgang mit Rauschkultur
taz: Von einem eigenen Ansatz in der Drogenpolitik der Regierungskoalition ist nicht viel zu spüren. Wo setzt das BND an?
Silke Kolwitz: Zum einen muss dringend die Situation von Junkies verbessert werden. Vor allem im Knast steht unter den derzeitigen Bedingungen bei vielen Abhängigen die Existenz auf dem Spiel. Druckräume für Heroinabhängige sind ebenfalls längst überfällig, wenn nicht weiterhin Leben gefährdet werden soll. Weniger existenziell, aber dafür in der Breitenwirkung entscheidend ist die Frage nach dem Umgang mit Usern von Haschisch oder Partydrogen à la Ecstasy. Hier muss die Kriminalisierung einer nicht unbeträchtlichen Bevölkerungsminderheit gestoppt werden.
Das klingt nach dem klassischen „legalize it!“-Ansatz.
Es geht nicht um eine pauschale Legalisierung. Der BND tritt für den Verkauf von Drogen in lizensierten Drogenfachgeschäften mit geschultem Personal ein. Zusätzlich solte jeder Konsument über Drogen informiert werden. Entweder schon in der Schule oder durch einen Drogenführerschein. Kokain oder Heroin sollte es nur auf Verschreibung geben. Zurzeit aber wird einem Gelegenheitskiffer, der nüchtern in einer Polizeikontrolle gefilzt wird, wegen Besitz von Dope der Führerschein entzogen. Da geht es nicht um berauschtes Fahren, denn Cannabis kann wochenlang nach dem Konsum noch im Körper nachgewiesen werden. Gelegenheitskonsumenten illegaler Substanzen werden pauschal als allgemein fahruntauglich abgestempelt.
Wie will der BND abhelfen?
Die Verordnung, auf der dieses Vorgehen beruht, stammt noch aus Zeiten der CDU/FDP-Koalition. Dass sie nun unter Rot-Grün in die Praxis umgesetzt wird, ist nicht tragbar. Das wollen wir in innerparteilichen Gremien, aber auch auf der parlamentarischen und ministerialen Ebene deutlich machen. Es ist unsinnig, wenn die Koalition schwarz-gelbe Drogenpolitik exekutiert.
Warum ist denn bislang auf diesem Feld so wenig passiert?
Zum einen war die Regierung gerade im ersten Jahr auf so genannte harte Themen wie Steuerreform etc. konzentriert. Darüber hinaus mahlen die Mühlen eben auch in der Politik langsam. Wer beim Antritt von Rot-Grün glaubte, jetzt komme die sofortige Hasch-Legalisierung, war ein bisschen naiv. Handlungsbedarf haben wir natürlich gesehen, sonst hätten wir nicht das BND gegründet. Obwohl auch wir mit Widerständen zu kämpfen haben, ist eine realistische Drogenpolitik bei den Grünen noch am ehesten machbar.
Wie sieht realistische Drogenpolitik im Sinne des BND aus?
Über die Behebung akuter Missstände hinaus, durch die das Leben von Junkies gefährdet wird, muss sich der politische und auch gesellschaftliche Umgang mit Drogen komplett ändern. Das betrifft nicht nur illegale Rauschmittel, sondern auch Alkohol und Tabak. Zum einen muss auf die Gefahren jedweden Drogenkonsums hingewiesen werden. Andererseits darf aber nicht ignoriert werden, dass unsere Kultur – wie alle Kulturen – auch den Genuss von Drogen beinhaltet. Eigenverantwortlichkeit statt Dämonisierung sollte der Maßstab sein, wir gehen hier vom kompetenten Konsumenten aus.
Davon sind wir aber noch sehr weit entfernt.
Ich halte es für möglich, einmal so weit zu kommen, dass der Otto Normalbürger beim Stichwort „Drogen“ nicht unwillkürlich an kaputte Junkies vor dem Bahnhof denkt. Wir haben die Vision einer Gesellschaft, die den Drogenkonsum in den Alltag integriert hat, zum Beispiel als Medizin, in der Psychotherapie und als Mittel der Rekreation. Dazu sind weitere Forschungen dringend notwendig.
INTERVIEW: LARS KLAASSEN
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