Betr.: BRAUCHT DEUTSCHLAND DIE RED GREEN CARD?

Mit der Computerbranche haben auch wir eine Sparte mit Zukunft. Arbeitslose Spezialisten könnten wieder Hoffnung auf einen Job haben. Doch der Kanzler lässt sie links liegen und segelt lieber im Schlepptau der Unternehmer – schreibt taz-Autor KLAUS ZWICKEL.

Man muss es ihm lassen – Kanzler Schröder überrascht gerne mit Schnellschüssen. Er packt zu, wenn es um die Zukunft der Beschäftigten des Holzmann-Konzerns geht, aber er macht auch vorschnelle Versprechungen, wenn er im Schlepptau von Managern der Informationsbranche in die Cebit segelt. Ob diese Manager oder gar die rund eine Million Beschäftigten in der Informations- und Kommunikationswirtschaft mit „Gerhard, Gerhard!“-Rufen danken, wenn zukünftig High-End-Spezialisten aus Indien oder Bulgarien bei Siemens, SAP oder IBM beschäftigt werden, ist jedoch äußerst fraglich.

Der Ruf Schröders nach einer Green Card ist nicht nur ein Schnellschuss. Dieser Vorschlag ist ein Spiel mit dem Feuer: Denn die Hoffnungslosigkeit unter Millionen Arbeitslosen wächst, und unter den Beschäftigten wächst die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Auch die Arbeitsämter haben kein Verständnis für Schröders Green-Card-Initiative. 31.840 EDV-Fachleute sind arbeitslos. Dazu kommen 56.000 arbeitslose Ingenieure aller Fachrichtungen.

Der Arbeitsminister ist irritiert. Wurde doch im Bündnis für Arbeit beschlossen, den Arbeitskräftemangel in der IT-Wirtschaft zu untersuchen, zu analysieren, um dann das Problem schnell, aber auch gründlich zu lösen. Und die Gewerkschaften sind sauer, weil der Kanzler der IT-Branche auf den Leim gegangen ist. Existiert doch seit Mitte 1999 eine Vereinbarung zwischen IG Metall, Bildungsministerium und Wirtschaft, 40.000 zusätzliche Ausbildungsplätze in der IT-Branche zu schaffen.

Was also sind die Motive, die die Unternehmen treiben und den Kanzler offensichtlich beeindrucken? Erstens: der Fachkräftemangel. Der ist nicht zu leugnen. Na wunderbar: Endlich haben wir eine Zukunftsbranche, die mit wachsendem Arbeitskräftebedarf die Arbeitslosigkeit jedenfalls zum Teil abbauen könnte. Endlich können ältere EDVler, von denen viele vor Jahren mit hohen Abfindungen entlassen wurden (bei IBM waren schon 49-Jährige zu alt für diese Jobs), wieder hoffen. Endlich können auch Abiturienten oder Berufsakademiestudenten in den IT- und Kommunikationsunternehmen einen Job finden oder eine Ausbildung erhalten.

Arbeitgeber wollen sparen

Aber es klappt nicht. Wieso haben zum Beispiel in einem Frankfurter Gymnasium von 20 Abiturienten nur zwei eine Stelle? Wieso suchen von den rund 7.000 Besuchern des IG Metall-Standes auf der CeBIT viele vergeblich nach einem Arbeitsplatz in der IT-Industrie?

Da komme ich zum zweiten Motiv der Arbeitgeber. Das heißt: Kosten sparen. Vor allem die Ausbildungs- und Qualifizierungskosten. Und damit hängt das dritte Motiv zusammen: Arbeitgeber wollen immer schnelle Lösungen, Lösungen, die wenig kosten, wenig Geld, wenig Zeit und wenig Aufwand. Vorausschauende Personalplanung und kreative Arbeitsorganisation sind nicht ihr Ding. Es ist einfacher, eine ausgebildete indische Fachkraft für rund 3.000 Mark Monatssalär nur befristet einzustellen. Ein europäischer Spezialist würde dreimal so viel verlangen.

Aber eines muss man Schröder lassen: Er hat eine Diskussion angestoßen, die einiges aufdeckt und die eventuell sogar zu positiven Ergebnissen führen kann: Aufgedeckt wurde, dass die Manager der schnell wachsenden IT-Branche in den vergangenen Jahren kläglich versagt haben. Sie haben den Fachkräftemangel selbst produziert, haben erfahrene Spezialisten entlassen und Ausbildungsplätze abgebaut.

Das kann nur eins heißen: Die IT-Branche muss jetzt endlich mehr für Ausbildung und Qualifizierung tun. Die Unternehmen haben das Programm für 40.000 Ausbildungsplätze zu erfüllen und sollten es noch ausweiten. Darüber hinaus plädiere ich dafür, die Seitenein-steiger-Programme wieder aufleben zu lassen. In drei bis neun Monaten könnten passionierte Hacker, talentierte Fachfremde, entlassene EDVler und arbeitslose Ingenieure zu IT-Spezialisten umgeschult werden.

Fazit: Der Fachkräftemangel in einer blühenden Branche muss behoben werden – vorrangig durch Ausbildung und Qualifizierung im eigenen Land. Anwerbung von Personal aus Nicht-EU-Ländern sollte auch künftig so lange die Ausnahme bleiben, wie es unter den Millionen Arbeitslosen ein hohes Potenzial an interessierten und zur Qualifizierung entschlossenen Menschen gibt.