: Endlich mal ausschlafen
Arbeiten, abtanzen, und bevor Harald Schmidt anfängt, ist man dann auch schon wieder zu Hause: In Berlin hat der erste Afterworkclub aufgemacht. Die Idee kommt aus New York und London – nur dass es dort in den Clubs irgendwie lustiger zugeht
von ANDREAS BECKER
Auf Radio Eins spricht eine Frau über den „ersten Berliner Afterworkclub“. Die Idee, sagt sie, komme eigentlich aus so trendy Städten wie New York oder London. Dort sei es nämlich schon ganz normal, sagt sie, direkt nach der Arbeit nicht ins Fitnessstudio, sondern in die Disko zu gehen. Uncool, dachte ich. Arbeit ist uncool, und Fitnesstudios sind es auch. Da war sie wieder, die böse Fratze der Neuen Mitte: Seit wann muss man arbeiten, um sich für Diskoeintritt zu legitimieren?
Wenn das Böse derart vehement in den eigenen Kiez drängt, will man nicht abseits stehen. Also gingen wir letzten Mittwoch in den Kreuzberger Privatclub, wo der erste Berliner Afterworkclub untergebracht ist. Denn eigentlich ist die Idee richtig Klasse. Man will ja nicht unbedingt bis ein Uhr morgens dumpf vor dem Fernseher hängen, um dann endlich mal tanzen gehen zu dürfen.
Im Privatclub öffnen sich die Türen mittwochs schon um 19 Uhr, zunächst mal für vier Wochen. Als wir kurz nach der „Tagesschau“ die Treppen zum Privatclub runtertapern, sind zwei Kamerateams da, eins von RTL, eins von TVBerlin, zusammen mit Fotografen und Reporter. Sie beobachten – Menschen nach der Arbeit. Die sind so nett, sich in den Sofaecken zu fläzen, und bei Bedarf lächeln sie auch mal in einen Scheinwerfer. Sogar getanzt wird, und so bekommen die, die hier noch bei der Arbeit sind, ihre Bilder. Wenn wir für die Medien tanzen – ist das nicht unentgeltliche Statisterie, also Arbeit nach der Arbeit? Das meinten die großen Pop-Tanz-Theoretiker also mit dem Slogan von der Freizeit, die uns zur Arbeit wird. Richard Weilacher und sein Kollege am Einlass zumindest kassieren von jedem 10 Mark. Als wir sie fragen, wann sie zumachen würden, sagen sie: Um eins – sonst müssten die Beschäftigten zu lange arbeiten. Hm.
Richtig gemütlich ist es trotzdem. Nur die innere Diskouhr stört. Irgendwas in meinem Körper signalisiert mir beim Blick in den Caipirinha, dass die Zeit nicht stimmt. Ich will den nächsten Tag alle und verkatert sein, ich will, dass es viel zu spät wird, ich will nachts um halb vier betrunken mit dem Rad rumfahren und denken: Scheiße, das wird aber hart morgen.
Doch die Zukunft beginnt am frühen Abend: Afterworkclubs sollen demnächst auch im Oxymoron und im Caroshi am Potsdamer Platz veranstaltet werden. Die – irgendwie aufregenderen – Vorbilder für diese Art von Frühtanz findet man tatsächlich zum Beispiel in London. Dort gibt es den Lazy Dog Club im Notting Hill Arts Club, jeden zweiten Sonntagnachmittag. Schon um vier Uhr geht's los. Bis sieben ist der Eintritt frei, danach kostet es fünf Pfund.
Wenn man das Glück hat, reinzukommen, schlägt einem eine Welle Ausgelassenheit und Spaß entgegen, dass man meint, in Berlin sei man in den letzten Jahren nur auf Beerdigungen gewesen.
Im Privatclub ist es gerade mal viertel nach zehn. Getanzt haben wir schon, verschwitzt sind wir auch schon, und irgendwie wird es jetzt ein wenig langweilig. Die Musik ist sehr mellow, ein bisschen zu sehr „Ambientswingbass“ und „Modern Grooves“. Jetzt müsste ein DJ auftauchen, der nicht arbeitet, sondern einer, der einfach Lust hat, seine Lieblingstanzscheiben der letzten 25 Jahre aufzulegen. Denn die Afterworkclubber, sie sind gar nicht so mittig oder gestresst vom Erfolgreichsein. Sie sind eher so wie wir, als wir noch Anfang dreißig waren.
Es ist nicht richtig voll und auch nicht richtig leer im Afterworkclub. Meine innere Diskouhr sagt: Gleich müsste es etwa eins sein, dann kommt die Szene. Aber es ist erst kurz vor elf, und im Fernsehen hat noch nicht mal Harald Schmidt angefangen. Irgendwas zieht mich nach Hause. Mal ausschlafen, sagen die drei nettesten Frauen – und gehen tatsächlich. Die Kamerateams sind auch längst im Bett.
Das ist alles etwas schwächlich. In London, im Lazy Dog, zieht man sich am Sonntagnachmittag gnadenlos mit Bacardi Breezer und Bier zu und tanzt, als sei’s das letzte Mal. Allerdings auch nur bis elf Uhr. Dann wird das Licht angemacht. Eisenhart.
Afterworkclub im Privatclub, mittwochs ab 19 Uhr, unter dem Restaurant Markthalle, Pücklerstr. 34 Lazy Dog Club, das nächste Mal am 19. März ab 16 Uhr im Notting Hill Arts Club, 21 Notting Hill Gate, London W11
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