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Apus Lehren

EINWANDERUNGSLAND DEUTSCHLAND (2): Im Streit um die germanische Green Card werden fröhlich kulturelle Stereotype instrumentalisiert – ganz wie es dem Kapital gefällt

von DIEDRICH DIEDERICHSEN

Was ist vorauseilende Kulturkritik? Sich schon heute mit den kulturellen Stereotypen von morgen und ihren absehbaren Folgen beschäftigen? Vielleicht.

Die Karten waren noch nicht ganz grün hinter der Plastikversiegelung, als schon die ethnisch-kulturelle Prägung der Nutznießer dieser ganz neuen Einwanderung beschlossen war: Aus jener der deutschen Computerwirtschaft an der Wettbewerbsfähigkeit fehlenden informatisch-technischen Intelligenz waren die „Computer-Inder“ geworden: Söhne von Shiva und Software, achtarmige Programmierer, Quellcode-Yogis. Und nachdem die eine Seite der Migrationsdrohung genügend konkretisiert war, konnte auch die andere nicht warten: „Computer-Inder werden keine Bayern“, meldete die Süddeutsche Zeitung – wodurch eine weitere kulturelle Grenze klar war: Sollen sie sich doch an labbrig undefinierte Cebit-Hannoveraner heranassimilieren, aber Bayern, also Menschen mit einem erzregionalen, stark ethnischen und kraft-kulturellen und also deutschen Kern, werden sie nimmer!

Apu war als hoffungsvoller Informatiker ins Land geholt worden und führt heute eine Kwik-E-Mart-Filiale

Was ein Computer-Inder ist und wie er in der Fremde leben muss, lässt sich fast jeden Nachmittag um 17.30 Uhr auf Pro 7 studieren. Der sympathische, aber resolute Apu Nahasapeemapetilon führt in Springfield eine Filiale der Kwik-E-Mart-Supermarkt-Kette mit flexibilisierten Öffnungszeiten. Er steht praktisch immer hinter seiner Theke, jedenfalls bis zu 96 Stunden ohne Unterbrechung. Einst war er als hoffnungsvoller Informatiker ins Land geholt worden und hatte mit US-Stipendium promoviert.

Doch die Unwägbarkeiten der Marktwirtschaft hatten den vollständig integrierten Bürger und persönlichen Freund Paul McCartneys, den Elton-John-Fan und ehemaligen Sänger des Grammy-geehrten „A-cappella-Barbershop-Quartetts The Be-Sharps“ und stolzen Besitzer des Live-Mitschnitts vom „Concert Against Bangladesh“ in die Provinzstadt Springfield gespült, wo auch Familie Simpson wohnt. Deren Mitglieder zerstörten zwar irrtümlich sein Dissertationsprojekt. Und Homer bewies seinen ethnifizierenden, wenn nicht rassifizierenden Blick, als er bei einem verstohlenen Blick ins Kamasutra zu seiner Frau raunte: „Guck mal, die sehen ja alle aus wie Apu.“ Aber die Simpsons halfen ihm auch, als das passierte, was Migranten so passiert, wenn irgendwo ein Rechtspopulist wie Bürgermeister Quimby ein paar Stimmen braucht.

Die Bevölkerung von Springfield lässt sich – natürlich mit Ausnahme von Lisa Simpson – für ein dem kalifornischen Vorbild nachempfundenes Volksbegehren („Proposition 24“) gegen „Illegale“ aufwiegeln („The only good foreigner is Rod Stewart“, „Hey German boy, go back to Germania!“). Nur mit knapper Not, einer Gesetzeslücke und dank hoch detaillierter Kenntnisse haarspalterischer Petitessen der amerikanischen Geschichte wird Apu eingebürgert – unter Umgehung von Green Card und Doppelpass. Die anderen Ausländer werden abgeschoben, allen voran der schottische Pedell der Grundschule mit der bekannten Neigung zum Exhibitionismus.

Lernen wir etwas daraus? Ja, na klar. Etwas anderes. Computer-Inder werden zwar einerseits doppelt Unterlegenheits- und Neidprojektionen auf sich ziehen: Der Deutsche hat nämlich erstens Angst vor Menschen, die scheinbar von Natur aus etwas von Computern verstehen, und hegt zweitens seit der Frühromantik eine ambivalente, projektionssatte Ehrfurcht vor allem Indischen als nämlich buddhabreites Behältnis alles Schopenhaurisch-Spirituellen und überlegen Vedisch-Vergeistigten.

Doch die ehrfürchtige Faszination der traditionell Denker und Heilige verehrenden wie auch vertreibenden Deutschen hilft Apu, seinen Landsleuten und Kollegen nicht nur deswegen nicht, weil bei der kulturellen Faszination in unsicheren Zeiten Verehrung immer schneller in Vertreibung kippt. Letztlich können die kulturellen Stereotype noch so neu, alt oder beides sein, solange sie ihren ideologischen Job tun, nämlich zufällige Unterscheidungen zu naturalisieren und als regelhaft zu setzen – unabhängig von deren Bewertung.

Deutsche bewundern das Indische als buddhabreites Behältnis alles überlegen Vedisch-Vergeistigten

Und andererseits unterminiert die Ungeregeltheit turbokapitalistischer Verhältnisse offensichtlich zunehmend jedes staatliche Dokument, wie grün es auch immer sein mag. Was am aktuellen Fall wie eine zwar nicht verlässliche, aber begrüßenswerte Ausnahme oder gar Widerlegung der Litanei vom vollen Boot erscheinen mag, zeigt doch vielmehr, dass das Kapital nur zu husten braucht, und die gesamte Regierungsideologie samt Oppositionsgegenideologie wird umgeschrieben und submissest in neue Gesetzesvorlagen gegossen. Dass, wenn das Kapital in die entgegengesetzte Richtung schnäuzt, nur ein Rechtspopulist kommen muss, und es geht auch den Computer-Indern und allen ähnlichen Spezialisten an den Kragen, lehren nicht nur die Simpsons.

Wie der Ami von Apu, so erwartet auch das naturgemäß an der persönlichen Dimension seiner Investitionen desinteressierte deutsche Kapital, dass seine Gastprogrammierer sich früher oder später wieder dahin verfügen, wofür die Deutschen ihren ominösen Begriff der „Heimat“ einsetzen – genau wie damals bei den Hardware-Gastarbeitern. Von der ist nämlich immer dann die Rede, wenn das Kapital lange genug der so genannten Dritten Welt ihre Eliten entführt hat und diese nun langsam einen geregelten Status und Bürgerrechte in ihrer so genannten neuen Heimat beanspruchen. Dann werden wir wieder zu hören bekommen, dass die Kamasutra-Menschen, deren Göttinnen nur zwei Arme haben, sich doch vor allem kulturell von uns unterschieden.

Das ist die Idee des kulturellen Stereotyps. Ob es sich verfestigen kann, wäre ein Testfall für den ideologischen Postnationalismus der Computerindustrie. Plausibler bleibt, dass internationale Orientierungen der Gewinnerkultur weiterhin mit einer zunehmend nationalen und traditionellen Orientierung derer beantwortet werden, die nicht programmieren, sondern nur usen.

Um aber zu verhindern, dass auch unter solch weniger gut Beschäftigten aus Unterlegenheitsgefühl und den bekannten anderen deutschen Ideen von Indern im Besonderen und dem Orient im Allgemeinen sich die üblichen Ressentiments zusammenbrauen, reicht es nicht, dass der Staat ausländische Arbeitskräfte besser schätzt und integriert als über kurzfristige Arbeitserlaubnisse: Auch die Gewerkschaften müssten eine internationale Solidarität wieder entdecken und ins Zentrum ihrer Politik holen, die Lisa Simpson längst bewiesen hat, wenn sie immer ein Exemplar des Buches „Backdoors to Citizenship“ bereitliegen hat. Zur Forderung nach der legalen Sicherheit im nationalen Rahmen muss also ein internationaler Begriff gemeinsamer Interessen und dessen organisatorische Form gegen alle Konkurrenzverhältnisse wieder entwickelt werden – auch wenn das viel verlangt von denen, die ihren Mitgliedern verständlicherweise am liebsten Erfolgsmeldungen vom Arbeitsmarkt der unmittelbaren Umgebung mitteilen.

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