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Politikverbot für Erbakan

Ein Staatssicherheitsgericht verurteilt den türkischen Islamisten wegen Volksverhetzung

ISTANBUL taz ■ Es war ein Heimspiel, und Necmettin Erbakan, der über siebzig Jahre alte Vorkämpfer des politischen Islam in der Türkei, genoss den Beifall. Vergangenen Freitag trat Erbakan vor einer Versammlung islamischer Geschäftsleute auf, um sich als Opfer der ungläubigen Staatsmacht feiern zu lassen. Einen Staat, den Erbakan vom Untergang bedroht sieht, weil er die Gläubigen unterdrücke „wie früher die Sowjetunion“.

Es war Erbakans erster öffentlicher Auftritt, nachdem er eine Woche zuvor vom Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir in erster Instanz wegen Volksverhetzung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden war. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, im Wahlkampf 1994 zu Rassenhass aufgewiegelt zu haben.

Obwohl Erbakan von den islamischen Geschäftsleuten gefeiert wurde, hat seine Verurteilung insgesamt verhältnismässig wenig Reaktionen hervorgerufen. Keine einzige Demonstration, kein wütender Aufschrei der Gläubigen, sondern eher pflichtgemässe Protesterklärungen seiner eigene Fazilet-Partei war alles, was dem „Hoca“ an Solidarität zuteil wurde. Die Empörung in der türkischen Öffentlichkeit endzündete sich dagegen an einem Punkt, der nur mittelbare Folge des Urteils ist, wenn es in der höchsten Instanz bestätigt wird. Erbakan ist auf der Grundlage des berüchtigten Paragrafen 312 des türkischen Strafgesetzbuchs angeklagt. Eine Besonderheit dieses Gesetzes ist, dass Politiker, die wegen des Paragrafen verurteilt werden, lebenslang für politische Arbeit gesperrt sind.

Erbakan, der im Zusammenhang mit der Schließung der Wohlfahrtspartei, deren Vorsitzender er war, für fünf Jahre gesperrt wurde, droht nun das endgültige Aus. Die neuerliche Verurteilung trifft die Fazilet-Partei in einer für sie ohnehin schwierigen Phase. Seit der Wahlniederlage im April letzten Jahres hat ihre politische Bedeutung ständig abgenommen. Eine Folge davon sind heftige interne Machtkämpfe. Erstmals in der jüngeren Geschichte des politischen Islam in der Türkei, hat deshalb jetzt eine Gruppe es gewagt, gegen Erbakan zu meutern. Wenige Tage vor der Verurteilung des Alten, hat einer der Köpfe der Reformer, Abdullah Gül, angekündigt, er werde auf dem Parteitag in Mai für den Vorsitz kandidieren. Die Verurteilung Erbakans zwang Gül dann wieder in die Solidarität. Wie alle anderen Fazilet-Abgeordneten fordert er lautstark die Abschaffung des „undemokratischen Gesetzes“.

Doch schon einmal stand die Abschaffung des Paragrafen 312 auf der Tagesordnung des Parlaments. Der damalige Anlass war die Verurteilung des Schriftstellers Yașar Kemal. Damals stimmte die Fazilet gegen eine Aufhebung des „Maulkorbparagrafen“, weil sie den linken Kemal nicht vor einer Strafe retten wollte.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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