: Der schöne Ort des Verbrechens
Der Mann von nebenan mag seinen ruhigen Nachbarn Augusto Pinochet. Komisch, dass die Anwältin dem Nachbarn nicht die Hand geben will
aus Valparaiso und Viña del MarINGO MALCHER
Das passt ja. Berühmt geworden ist dieser Hügel wegen der „Psychopathen von Viña del Mar“. Fünf Liebespaare haben sie ermordet. Genau hier. In Reñaca, dem Refugium der Reichen Chiles. Der Anführer und Oberpsychopath ist für die Morde nie verurteilt worden, er war Polizist. Aber das ist Jahre her. Genauer gesagt zwanzig Jahre. Zu Hoch-Zeiten der Militärdiktatur. Heute hat sich Augusto Pinochet hier niedergelassen, in einem Apartment mit Blick auf den Pazifik. Noch so einer, der nicht verurteilt wurde. So schließen sich Kreise.
Sinn für angenehmes Dasein scheint er zu haben, der einstige Diktator. Kein Lärm, nur einige Vögel zwitschern. Zwischen den rosa blühenden Oleandern fliegen gelbe Schmetterlinge. Auf der Straße ist kaum ein Auto. Nur die grässlichen Hunde mit ihren Mördervisagen hinter den Zäunen verderben die Idylle. Aber der Ausblick entschädigt für alles: Von der Anhöhe blickt man auf die Bucht von Viña del Mar und auf den offenen Pazifik. Wer hier wohnt, gehört zu den Gewinnern des Pinochet-Regimes.
Renaca – die Stadt des Generals
Pinochets Haus ist ein mintgrüner Würfel mit vier Stockwerken. Im dritten Stock hängen türkisfarbene Gardinen vor den Fenstern. „Es war schon lange niemand mehr drin“, sagt ein Nachbar. Sicher, der Besitzer der Wohnung im dritten Stock hat die vergangenen 17 Monate in London verbracht. Nachdem Pinochet von seinem Posten als Chef der Streitkräfte zurücktrat, kaufte er sich dieses Apartment, um näher am Senat zu sein. Und Valparaiso, die Senatsstadt, liegt um die Ecke. Wie praktisch. Ist Pinochet doch, wie jeder Präsident Chiles nach seinem Abgang, zum Senator auf Lebenszeit ernannt worden und genießt Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung.
Reñaca – ein Fluchtort vor der Justiz. Die Scheiben des Pinochet-Apartments sind getönt. Wie die Sonnenbrille, die er als blutiger Herrscher zu tragen pflegte.
Seine Nachbarn mögen ihn. „Er ist ein Nachbar wie jeder andere, er fällt kaum auf, wenn er hier ist“, sagt ein Mann im Haus nebenan, während er hinter dem Eisengitter an seiner schwarzen BMW-Maschine schraubt. Ein alter Mann beim Sonntagsspaziergang mischt sich ein: „Der General war sehr gut für Chile, ein Glück, dass er zurück ist“, sagt er. Dann wieder Stille. Man spricht hier nicht gern über Pinochet. Er gehört einfach dazu. Und die Frau von gegenüber hat ein besonders effizientes Mittel gegen lästige Fragesteller: Sie richtet ihren Gartenschlauch auf sie.
Reñaca also. Eine Ladung Zement in die Wüste gekippt und daraus einen Ort geformt. Ein Nest für Reiche und solche, die sich dafür halten. Die Busfahrt von Reñaca nach Valparaiso dauert 19 Minuten. Am Steuer sitzt Juan. So steht es zumindest auf einem Schild über dem Fahrerplatz: „Juan; der Name des 20. Jahrhunderts“. Aber in Wirklichkeit heißt der Fahrer Rodolfo. Juan ist krank und kann heute nicht. Rodolfo ist dick wie ein Walross, und er hat eigentlich wirklich andere Sorgen, als täglich mehrfach unter dem Apartment von Pinochet vorbeizusausen. „Sie wollen das Parlament nach Santiago verlegen“, schimpft er. „Das ist doch Unsinn. Kostet nur Geld und bringt nichts.“
Rodolfo fürchtet um die Einnahmen für die Stadt. Ein Parlament müsse ja nicht unbedingt in der Hauptstadt seinen Sitz haben. „Die meisten Abgeordneten leben doch ohnehin in ihren Häusern, die über eine Stunde von Santiago entfernt sind“, sagt Rodolfo. Folglich sei es doch egal, ob sie in Valparaiso oder in Santiago tagen.
„Weißt du, warum sie sagen, dass man besser in Santiago tagen soll?“, fragt der Busfahrer dann, um gleich die Antwort hinterherzuschieben: „Weil Pinochet das Parlament gebaut hat. Was für ein Mist!“ Dabei sähen alle immer nur die schlechten Dinge, die Pinochet getan hat. Nie die guten. So übel sei er doch gar nicht gewesen. „Zumindest hat er weniger gestohlen als andere“, sagt Rodolfo. Aber Rodolfo mag ohnehin keine Politiker, denn die quatschen viel und tun nichts.
Reñaca – Valparaiso. 19 Minuten, zwei Welten. Die Fahrt beginnt am Badestrand von Reñaca, es riecht nach Sonnencreme und Salzwasser. Dann geht es vorbei am modernsten Krankenhaus Südamerikas, der Militärklinik von Viña del Mar. Am Strand haben die Militärs eine Ausstellung von Kriegsgerät aufgebaut: Bomben und Raketen, Hubschrauber und Flugzeuge. Schließlich die ersten Häuser von Valparaiso. An einer Felswand neben der mehrspurigen Straße steht in großen schwarzen Buchstaben „Viva Pinochet!“. Dann parken auch schon die ersten Lastwagen am Stadteingang. Am Hafen stapeln sich die Container. P&O, Hapag Lloyd, Hamburg Süd.
Der Senat – in die Stadt gemeißelt
In den Straßen von Valparaiso geht es eng zu. Rodolfo steuert seinen bunten Bus mit der Gelassenheit eines Anglers durch die Nadelöhre. Lastwagen, Fußgänger, Lastwagen, Fußgänger. Dann ist Endstation. Alles aussteigen.
Auf der anderen Straßenseite streckt sich der Klotz des Parlamentsgebäudes in den Himmel. Monumental, drohend. Zwischen die kleinen zweistöckigen Häuschen von Ende des 19. Jahrhunderts, mit Liebe und Stil großgezogen, ließ Pinochet gegen Ende seiner Amtszeit das Parlamentsgebäude in die Stadt meißeln. Zwei ockergelbe Türme nebeneinander, die ab dem zehnten Stock zusammenwachsen. Eine Art Brandenburger Tor für Diktatoren mit einem Büro- und Tagungstrakt. Größer ging es wirklich nicht.
Eingeweiht wurde das hohe Haus im Jahr 1990, nachdem die Chilenen in einem Volksentscheid dafür votiert hatten, Pinochet möge aus dem Präsidentenpalast ausziehen. Aber Pinochet ist immer noch da. Chile, die junge Demokratie, muss mit der von ihm geschriebenen Verfassung leben und in seinem Haus Rat halten. Von seinem Büro im Parlamentsgebäude hat Pinochet als Senator auf Lebenszeit eine eigene Tür in den Sitzungssaal des Senats.
Einige Stockwerke darunter sitzt die linke Abgeordnete Laura Soto aus Viña del Mar. In der ersten Amtsperiode des Parlaments wurde sie zu einem privaten Abendessen mit Pinochet eingeladen. Sie ging nicht hin. „Niemals habe ich ihm die Hand gegeben und werde es auch nie tun“, sagt sie. Während des Pinochet-Regimes verteidigte die Rechtsanwältin streikende Arbeiter, linke Studenten und Politaktivisten.
Sie selbst ist nie verhaftet worden. Nur einmal dachte sie: Jetzt ist es so weit. Das war 1982, kurz nach 11 Uhr abends. Das Telefon klingelte in ihrer Wohnung. Ein Kollege. Die Militärs seien gerade dabei, ihr Büro zu durchsuchen. „Also zog ich mich an, schminkte mich und wartete darauf, dass sie mich holen kommen“, sagt Laura Soto. Aber sie kamen nicht. „Trotzdem konnte ich seither nicht mehr gut schlafen.“
Als Pinochet 1998 in den Senat einzog, war Laura Soto eine der Abgeordneten, die mit Fotos von Ermordeten in den Sitzungssaal kamen. Und als er sein Apartment in Reñaca bezog, war sie eine der ganz wenigen, die sich dagegen wehrten. Vergebens. Es wäre besser für Chile, wenn Pinochet nicht mehr im Senat säße, meint sie.
Wenn Reñaca das Miami Chiles sein soll, dann ist Valparaiso das Liverpool des Landes. Während in den Nobelvierteln in Reñaca der englische Rasen gesprengt wird, bröckelt von den Gebäuden in Valparaiso der Putz ab. Eine heruntergekommene Hafenstadt. Aber ehrlicher und stilvoller als Reñaca. Berühmt-berüchtigt ist Valparaiso bis heute wegen der heftigen Arbeitskämpfe der Hafenarbeiter. Während der Diktatur waren sie es, die den höchsten Tribut zahlen mussten: wirtschaftlich wegen der Modernisierungen und politisch wegen der Repression.
Valparaiso – die Stadt der Arbeiter
Die Zentrale der Hafenarbeitergewerkschaft ist in einem ramponierten Gebäude untergebracht. Die Treppenstufen sind morsch, quietschen, an manchen Stellen sind sie schon durchgetreten. Auf dem Kunstledersofa des Präsidenten Nelson Otaiza liegen gut und gerne 5 Kilo rote Äpfel. Bei der Fruchtverladung heute morgen hat er sie mitgehen lassen. „Für meine Mutter und für meine Frau“, entschuldigt er sich. 22 Dollar verdient ein Hafenarbeiter pro Tag. Aber es gibt nicht jeden Tag Arbeit.
Seit Pinochet die staatlichen Reglementierungen aufgehoben hat, verkauft ein Hafenarbeiter seine Arbeitskraft jeden Tag neu. Morgens schreibt er sich bei einer Firma in eine Liste ein, bis jemand kommt und auf diejenigen mit dem Finger deutet, die an diesem Tag arbeiten dürfen. Im Monat kommt man mit dieser Methode auf etwa 150 Dollar. Und das bei deutschen Preisen.
Otaiza ist einer der wenigen Gewerkschaftsführer, die die Diktaturjahre überlebt haben, ohne ins Exil flüchten zu müssen. „Wir sind damals wie Banditen durch die Stadt gezogen, es war sehr schwierig“, sagt er. Viele Gewerkschafter wurden unter Pinochet entführt und ermordet. „Aber der Hunger und der Druck, dem die Kollegen ausgesetzt waren, haben mich angetrieben weiterzumachen. Zugegeben: Ich hatte auch ganz viel Glück“, sagt Otaiza und reibt sich die roten Augen.
Wenn Pinochet jetzt nach Valparaiso in den Senat komme, dann wollen die Gewerkschafter dagegen auf die Straße gegen. „Die Rückkehr Pinochets lässt viele schmerzhafte Erinnerungen in mir wieder aufleben“, sagt Otaiza und blickt auf seinen Helm und die Taschenlampe, die neben ihm auf dem Schreibtisch liegen. „Denn dieser Mann steht für Exil, Entführung, Folter, Mord und Elend.“
Aber auch die Hafenarbeiter sorgen sich mehr um die eigenen Lebensumstände als um Pinochet. In einer heruntergekommenen Hafenkneipe in einem Keller, wo das Bier noch eine Mark kostet, sitzen diejenigen, die heute keinen Job bekommen haben, hören Tango und hoffen auf eine bessere Zukunft. Jaime Zelaya hat bei dem großen Streik gegen die Privatisierung im vergangenen Jahr ein Augenlicht verloren, als die Polizei mit Gummigeschossen auf die Arbeiter zielte. Und irgendwie, meinen sie, sei es logisch, dass Pinochet wieder in Valparaiso im Senat auftauche: Ein Verbrecher kehrt immer wieder zurück an den Ort seines Verbrechens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen