: Problem Mensch
Architektur als Gesellschaftskritik: Daniel Libeskind spricht am Sonntag im Schauspielhaus ■ Von Ulrike Bals
Über Besuchermangel kann das Jüdische Museum in Berlin nicht klagen. Annähernd 140 Tausend Menschen haben das Bauwerk seit seiner Eröffnung im Februar letzten Jahres bereits besichtigt – und das, obwohl (oder gerade weil) darin bislang noch kein einziges Judaicum zu sehen war. Damit, so der zynische Kommentar der FAZ, habe sich für den Architekten Daniel Libeskind der hehrste Traum seiner Zunft erfüllt: „dass sein Bau nur als Bau wirken kann und nicht auch lästigen Funktionen dienen muss“.
Zweckfeindlichkeit scheint ein durchgängiges Thema Libeskindscher Entwürfe. Doch verbirgt sich darunter weit mehr, als nur die Form gewordene Eitelkeit ihres Schöpfers: eine tiefgreifende Gesellschaftskritik. Davon wird gewiss die Rede sein, wenn der amerikanische Städtebauer und Architekt jetzt als fünfter Gast der Vortragsreihe „Alles Kunst? Wie arbeitet der Mensch im neuen Jahrtausend, und was tut er in der übrigen Zeit“ im Hamburger Schauspielhaus spricht.
Libeskind, 1946 als Kind verfolgter Juden in Polen geboren, studiert zunächst in Israel Musik bevor er sich in Amerika mit Mathematik und Malerei beschäftigt. 1965 beginnt er an der Cooper Union School in New York ein Architekturstudium, das er 1971 an der Universität Essex in England beendet. Heute lebt und arbeitet er in Berlin.
Mit der „Zukunftswelt“, die uns andeutungsweise ja längst umgibt, hat er sich nicht nur als Planer auseinandergesetzt. So bemängelt er etwa in seiner theoretischen Abhandlung „Symbol und Interpretation“ von 1981 die zunehmende Säkularisierung der Kultur, in deren Folge das menschliche Wissen in eine Vielzahl spezialisierter Disziplinen zersplittere. Im Bann des technischen Fortschritts bastele die Menschheit an einem künstlichen Paradies, einer albtraumhaften Utopie – Erinnerung und Bewusstsein als „Topographie der reinen Vernunft“ zurücklassend.
Mythische Erfahrungen dagegen würden mehr und mehr abgewertet. Die damit einhergehende Armut der sogenannten realen Welt sieht er als Ausformung einer herrschenden Ideologie, die es zu demaskieren gelte, und deren „Interessen und Ambitionen nicht notwendigerweise mit unserer vollen Exis-tenz übereinstimmen.“
Gerade in der Architektur und Architekturausbildung äußere sich, offensichtlicher vielleicht als in anderen Künsten, die Gesellschaftsordnung, die Ideologie der formalen Gestaltung und ihrer Grenzen. Von jeher ist Architektur mit der Schaffung von Ordnung befasst, „der Strukturierung dessen, was auf der zentralen Bühne des Interesses im Theater der Realität gespielt wird und damit, was an die Ränder verbannt werden soll.“ Darunter vermutet Libeskind den tief in einer „autoritären Tradition verwurzelten Traum von einer idealen Stadt“, in welcher mittels der Raumidee moralische Pflicht an zivilen Gehorsam gebunden sei. So werde unter dem Deckmantel der Vernunft als „schützender Talisman der Moderne“ von einer Reihe „anonymer Kollaborateure“, an der „Endlösung des Problems Mensch“ gearbeitet.
Fortschritt vergleicht er mit einem Sturm, der uns die Trümmer aus der unerledigten Vergangenheit nachwerfe, „so dass wir nur noch strauchelnd und fallend vorwärts gepeitscht werden“. Diesen scheinbar unaufhaltsamen Antrieb zu hinterfragen, ist für Libeskind die Voraussetzung für ein neues Bauen, ein neues Planen und das Entwickeln einer neuen Vision für die Zukunft der Menschen. Doch forciert er keineswegs Generallösungen oder gar Utopien. Was seine Architekturen und städtebaulichen Projekte auszeichnet, ist, bei aller formaler und gedanklicher Sprengkraft, gerade ihre menschliche, ihre sinnliche Dimension, die eine Vielfalt urbaner Räume schafft.
Allerdings, dass Libeskind jetzt, als einstiges enfant terrible der Architektenschaft, von selben „korrupten“ System, das er zu entlarven sucht, an die Spitze der internationalen Avantgarde getragen wird, muss zu Denken geben.
So, 26.3., 15 Uhr, Schauspielhaus
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