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Verbrannt auf dem heißen Stuhl

Christa Thoben fehlte der Rückhalt. Ihr Amtsvorgänger hatte Unhaltbares versprochen. Die SPD und auch ihre eigene Partei ließen sie damit allein

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Der letzte Politiker, der das Amt des Berliner Senators für Kultur unbeschadet überstanden hat, war Volker Hassemer (CDU). In den Jahren 1987/88, als Westberlin erst das 750-jährige Stadtjubiläum feierte und dann als Kulturhauptstadt Europas repräsentierte, gelang sogar die Gründung neuer Institutionen wie des Hauses der Kulturen der Welt und des Hebbel-Theater. Doch seit im Prozess der Wiedervereinigung die Bühnen und Museen der ehemaligen Halbstädte aus einem Haushalt finanziert werden müssen, blieben die Kultursenatoren glücklos. Auf diesem Posten verbrennt man sich: Das erfuhren schon Anke Martini (SPD) und der parteilose Ulrich Roloff-Momin, der für die Konzeptionslosigkeit der Berliner Regierung den schwarzen Peter zugeschoben bekam. Auch Peter Radunski (CDU) sah die Schulden wachsen: Doch es gelang ihm durch Versprechungen, für die nun dem Land Berlin und dem Bund die Rechnungen präsentiert werden, den Betrieb aufrechtzuerhalten.

„Mit den zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Mitteln sind die Aufgaben nicht zu beherrschen“, schreibt Berlins bisher letzte Kultursenatorin Christa Thoben (CDU). Das ist ein Fakt, der in ihrer kurzen Amtszeit seit dem 9. Dezember immer deutlicher wurde. Schon zu lange fressen Personalkosten und Tarifsteigerungen die Etats von innen auf. Anfangs glaubte sie noch, das geschätzte Defizit von 70 Millionen Mark im Kulturhaushalt durch Strukturreformen in den Griff zu bekommen: durch Kooperationen zwischen Opernbühnen, Orchestern und Hochschulen, durch neue Tarifverträge, durch Ausgründungen von Werkstätten an den Theatern, durch Privatisierung und längerfristige Verträge. Von Anfang an bat sie sich Zeit aus und wies auf den vorübergehenden Mehrbedarf an Geld hin, bis neue Organisationsformen greifen. Denn ohne Investionen sei der Umbau zu größerer Beweglichkeit nicht möglich. Beides hat sie nicht bekommen.

„Mit den zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Mitteln sind die Aufgaben nicht zu beherrschen“, schreibt Christa Thoben. Sie schreibt es in ihrer Rücktrittserklärung als Senatorin für Wissenschaft und Kultur. Sie bestätigt damit eine Kritik, die Intendanten und der Rat der Künste, eine Interessenvertretung von Berliner Kulturbetrieben verschiedener Sparten, schon lange an der Berliner Politik üben. „Mangelverwaltung“ gehört zu den Standardvorwürfen. „Wer längerfristige Konzepte entwickeln wollte, die über den nächsten Haushalt hinaus nach Lösungen suchten, wurde abgebügelt“, konnte Jürgen Schitthelm, Geschäftsführer der Schaubühne, aus langjähriger Erfahrung berichten. Man wartete auf den Knall, mit dem der Karren gegen die Wand gefahren wird, und fürchtete: entweder wieder die Schließung einer Bühne oder Spielunfähigkeit ab November. Oder der Abschied von Stars wie Frank Castorf oder Daniel Barenboim. Jetzt hat es anders geknallt als erwartet.

Dass sich Christa Thoben nicht länger hergeben wollte, ein „Abbruchunternehmen“ zu decken, rechnet ihr Jürgen Schitthelm jetzt als Ehrlichkeit an. „Großen Respekt“ billigt ihrer Entscheidung und der „konsequenten Analyse der Haushaltslage“ Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu. Auch Claus Peymann, der neue Intendant des Berliner Ensembles, bewerten ihren Rücktritt als ein Signal, dem mehr Transparenz folgen müsse.

Harscher als die Kulturszene reagiert die Politik. Bedauern, an ihrem Ast gesägt zu haben, zeigt bisher niemand. Die SPD kritisiert ihren Rücktritt als Kapitulation. „Sie hat die Kultur im Stich gelassen“, sagt Klaus Wowereit, der sich als neuer Fraktionschef der SPD profilieren muss, und wirft Thoben „mangelnde Liebe zur Kultur“ vor. Dabei hat ausgerechnet er ihre Versuche, in den Haushaltsausschüssen mehr Geld für die Kultur zu verlangen, abgeschmettert, sekundiert von den Haushältern der CDU.

Noch von einer anderen Seite musste Christa Thoben Unterstützung vermissen. Der Bund, vertreten durch den Kulturstaatsminister Michael Naumann (SPD), war nicht bereit, seine Zuwendungen für den defizitären Berliner Kulturbetrieb zu erhöhen. Er präsentierte stattdessen eine wachsende Liste seiner Ausgaben in Berlin, um das Engagement des Bundes zu belegen. So nahm die SPD Thoben von zwei Seiten in die Zange, wohl wissend, dass sie keinen Spielraum hatte. Dabei zielten sie in erster Linie gar nicht auf die Senatorin, sondern auf den Regierenden Bürgermeister hinter ihr, Eberhard Diepgen (CDU). „Wenn eine Frau von ihrem Format aus der Elite der CDU den Hut nimmt, dann sagt sie damit gleichzeitig, dass diese Regierung nicht kompetent ist“, kommentierte Naumann gestern.

Noch am Montag hatte er Diepgen öffentlich aufgefordert, sich vor seine Senatorin zu stellen und ihr die Einhaltung der Versprechen, die der Senat den Theatern gegeben hatte, zu ermöglichen. Zu der Zeit muss Diepgen schon über Thobens Rücktrittswunsch informiert gewesen sein. Es ist nichts bekannt, was er zu ihrem Schutz unternommen hätte.

Im Gegenteil. Öffentlich war zuletzt ihr Konflikt im Fall des Universitätsklinikum Charité geworden. Dort hatte die Senatorin, die im Ressort Wissenschaft vor nicht minder schweren Problemen wie in der Kultur stand, betriebsbedingte Kündigungen erwogen. Diepgen widersprach. Ihren Rücktritt jetzt einen „persönlichen Schritt“ zu nennen, ist beschönigende Heuchelei.

Nicht zuletzt hat auch das sensationslüsterne Grausen, mit dem die Presse in die tiefen Löcher im Berliner Haushalt starrt, zur Demontage Thobens beigetragen. Das zeigte Anfang der Woche der vermeintliche Skandal um die Sanierung der Berliner Museumsinsel. Da wurde ihre Aussage, von den 100 Millionen Mark, die das Land Berlin dieses Jahr zum Wiederaufbau beizutragen hat, nur 75 Millionen aus dem Berliner Etat bestreiten zu können, als „Kürzung“ und „Offenbarungseid“ gewertet. Dabei wussten die Vertragspartner des Bundes und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dass Berlin 25 Millionen bei einem europäischen Fonds beantragt hat. Diese als Anteil des Landes zu akzeptieren, steht schon im Vertrag mit dem Bund. Es handelte sich also nicht um eine Kürzung, sondern von Anfang an um eine Rechnung mit einer unsicheren Größe.

Michael Naumann fordert nun eine rasche Regelung der Nachfolge: Schon weil die Klärungen, wohin bisher die Bundeszuschüsse geflossen sind, und die Verhandlungen, welche Institutionen der Bund übernimmt, erst mühsam in Gang gekommen sind. Zu befürchten ist, dass das Vakuum der Macht Mauscheleien Vorschub leistet.

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