: Philosophischer Hass
Der Bochumer Philosoph Kurt Flasch hat eine spannende Studie über völkische Agitation prominenter Philosophen während des Ersten Weltkriegs geschrieben
Den 2. August 1914, den ersten Tag des Ersten Weltkriegs, nutzte in Heidelberg der Philosoph Ernst Troeltsch, um auf einer „vaterländischen Versammlung“ seine Zuhörer für den Krieg zu begeistern. „Flammen der Unvernunft und Bosheit, des Hasses und des Neides“ bedrohten die deutsche Kultur, weshalb der redefreudige Professor den „Zauber männlich-heldischer Gesinnung“ beschwor und „zu den Waffen“ rief.
Solche und andere Beiträge deutscher Intellektueller zur „geistigen Mobilmachung“ hat jetzt der Bochumer Philosoph Kurt Flasch zusammengetragen. Der Verfasser, als ausgewiesener Kenner mittelalterlicher Philosophie vor allem an der Geschichte des eigenen Faches interessiert, wollte ein Buch schreiben, das „nach den Quellen schmeckt“. Aus Weltkriegsschriften hat er exemplarische Autoren und ihre Texte ausgewählt.
So beginnt er seine Darstellung mit konkreten Szenen: wie Rudolf Eucken, der einzige deutsche Philosoph mit Nobelpreis, eine flammende Rede vor ausziehenden Kriegern hielt, wie der Historiker Friedrich Meinecke über den „erzwungenen“ Kriegsausbruch meditierte oder wie in Berliner Universitätsreden vom Herbst 1914 die Völkerschlacht bejubelt wurde. In ihnen dozierte die „Elite der deutschen Wissenschaft“ über die Gerechtigkeit der deutschen Sache. Ein feinsinniger Gelehrter wie der Theologe Adolf von Harnack feierte das Töten und Sterben als Quell moralischer Erneuerung, und der Jurist Otto von Gierke verkündete, der Krieg „als der gewaltigste Kulturzerstörer ist zugleich der mächtigste aller Kulturbringer“.
Ausführlich beschreibt Flasch anschließend „Kriegsdenker“ wie den Philosophen Max Scheler oder die Schriftsteller Rudolf Borchardt und Hugo Ball und rekonstruiert deren Argumentation. Am Beispiel Schelers wird gezeigt, wie ausschließlich sich dieser für das Ethos und das „Gemüt“ interessierte, so dass ihm politische, ökonomische und historische Realitäten weithin entgingen. „Der Krieg müsse einen Sinn haben“, so Flasch über Schelers Kriegstexte und die ihnen eigene Diktatur des Sinnpostulats, „folglich habe er ihn.“
Doch Kurt Flasch will gerecht zu seinen Intellektuellen sein, „ich zetere nicht mit ihnen; ich berichte“. Er bemüht sich, die Vielfalt der Positionen im „intellektuellen Gelände“ deutlich zu machen, betrachtet schließlich sorgsam „Textmassen und ihre Ordnung“ und unterscheidet Autoren, Themen, Tendenzen und Adressaten. Zudem geht er auf die „Ideenwende 1916/17“ ein, als die Zahl der Kriegskritiker wuchs und sich sogar im Reichstag eine Mehrheit für einen Verständigungsfrieden aussprach. Diesen Wandel vollzog auch Ernst Troeltsch. Hatte dieser 1914 noch „Sätze geschrieben, die deutschen Protestanten bei Massakern in Belgien ein gutes Gewissen verschaffen konnten“, bekehrte er sich zum „Vernunftrepublikaner“ und forderte 1918 die „Demobilisierung der Geister“.
Für dieses Buch hat der Autor eine beeindruckende Sammlung von Schriften zusammengetragen und ausgewertet – ohne Zweifel ein verdienstvolles Unterfangen. Doch es gelingt ihm nicht immer, die einzelnen Autoren und ihre Texte argumentatorisch miteinander zu verknüpfen. Somit ist diese impressionistische Darstellung nicht eben geschmeidig zu lesen. Aber Kurt Flasch hat einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der deutschen Philosophie geliefert, die bislang über ihre Rolle im Ersten Weltkrieg schwieg. Gegen diese kollektive Amnesie richtet sich diese Darstellung, die daran erinnert, dass nach 1914 Millionen Menschen auch „unter den anstachelnden Reden der Professoren, gerade auch denen der Philosophie“ umgebracht worden sind.
TILLMANN BENDIKOWSKI
Kurt Flasch: „Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellektuellen und der Erste Weltkrieg. Ein Versuch“. Alexander Fest Verlag, Berlin 2000, 447 Seiten, 68 DM
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