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Kind hinter Gittern

Ein nach eigenen Angaben 12-Jähriger sitzt in Abschiebehaft. Die Behörden halten ihn für16 Jahre alt. Paradox ist: Dann dürfte er einen Asylantrag stellen. Aber dafür soll er zu jung sein

Im Abschiebegewahrsam sitzt derzeit ein Junge ein, der offenbar erst 12 Jahre alt ist. Das haben Flüchtlingsrat, Bündnisgrüne und PDS gestern scharf kritisiert. Nach ihren Angaben ist Kandan R., ein Tamile aus Sri Lanka, bereits seit drei Wochen im Abschiebegewahrsam in der Kruppstraße inhaftiert. Die Behörden erkennen die Altersangaben des Jungen nicht an. Sie gehen davon aus, dass Kandan R. mindestens 16 Jahre alt ist. Damit dürfte er – rein rechtlich – in Abschiebehaft genommen werden.

Mit 16 Jahren dürfte er aber auch – rein rechtlich – einen Asylantrag stellen. Als Asylbewerber bekäme er eine Aufenthaltsgestattung und müsste aus dem Gefängnis entlassen werden. „Genau das hat man ihm aber nicht erlaubt“, kritisiert Hartwig Berger, migrationspolitischer Sprecher der Grünen. „Das ist kafkaesk, absolut willkürlich.“ Berger hat den Jungen in der vergangenen Woche besucht. Sein Eindruck: „noch ein halbes Kind“.

Grüne, PDS und der Flüchtlingsrat fordern, dass der Junge, der sich ohne seine Eltern in Berlin aufhält, umgehend entlassen und jugendgerecht untergebracht wird. Seine Inhaftierung sei rechtlich nicht haltbar und verstoße gegen die UN-Kinderrechtskonvention. „Kinder und Jugendliche gehören nicht hinter Gitter“, sagte Traudl Vorbrodt vom Flüchtlingsrat.

Die Flüchtlingsberaterin Edith Morell hat jetzt die Vormundschaft für den jungen Tamilen beantragt, ein Rechtsanwalt in ihrem Namen einen Asylantrag gestellt. „Es kann aber Wochen dauern, bis das Amtsgericht über die Vormundschaft entscheidet“, befürchtet Morell.

Kandan R. war bereits am 8. März zusammen mit drei Landsleuten an der Grenze zu Tschechien vom Bundesgrenzschutz festgenommen worden. Auf Beschluss des Amtsgerichts Plauen kam er in Haft. Der zuständige Richter nahm den Jungen in Augenschein und bezweifelte daraufhin dessen Altersangaben. Seitdem wird Kandan R. wie ein Erwachsener behandelt, was nach dem Ausländerrecht bereits mit 16 Jahren möglich ist. Gemeinsam mit den drei anderen Flüchtlingen wurde er nach Berlin verlegt. Seine Begleiter stellten Asylanträge und wurden aus der Haft entlassen.

Die Innenverwaltung fühlt sich für den Fall nicht zuständig. „Das ist Sache vom BGS und dem Amtsgericht Plauen, wir stellen nur die Räumlichkeiten“, sagte ihr Sprecher, Stefan Paris.

Kandan R. ist nicht der einzige Minderjährige, der derzeit in Abschiebehaft sitzt. Flüchtlingsberatungsstellen wissen von 13 Fällen, meist Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren. Nach Angaben der Innenverwaltung werden jüngere Flüchtlinge „zu 99 Prozent“ nicht in Haft genommen. Es gebe aber streng geregelte Ausnahmen. Aktuelle Angaben über die Anzahl der minderjährigen Inhaftierten gibt es nicht. Die letzten Erhebungen der Innenverwaltung beziehen sich auf das erste Halbjahr 1999. Damals saßen 132 Jugendliche unter 18 Jahren in Abschiebehaft.

SABINE AM ORDE

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