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Ausnahmezustand in Bolivien

Bei Protesten im ganzen Land gegen die Erhöhung von Wassergebühren um 35 Prozent kommen drei Menschen ums Leben. Die Regierung des Ex-Diktators Hugo Banzer lässt Militär und Polizei gegen die Demonstranten vorgehen

von FLORIAN HARMS

Nach landesweiten Protesten gegen die Erhöhung der Wasserpreise und Straßenblockaden hat die bolivianische Regierung von Präsident Hugo Banzer am Samstag den Ausnahmezustand verhängt. Doch dabei blieb es nicht. Polizei und Militär gingen im ganzen Land mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Demonstranten vor. Diese warfen Steine und Molotowcocktails.

Bei den Zusammenstößen in verschiedenen Städten wurden drei Menschen getötet und mindestens 25 verletzt. Einige von ihnen erlitten Schusswunden. In der drittgrößten Stadt Cochabamba steckten die Demonstranten Regierungsgebäude, ein Treibstofflager und Autos in Brand. Einige von ihnen trugen die Leiche eines vermutlich von der Polizei erschossenen Demonstranten in einem Trauerzug durch die Stadt und feierten den Toten als „Märtyrer“. Die Regierung ihrerseits behauptete, der Mann sei beim Barrikadenbauen an Herzversagen gestorben.

Am Samstagabend hatte sich die Situation in Cochabamba beruhigt, Sicherheitskräfte patrouillierten in den Straßen. Polizisten besetzten die städtischen Radiosender, um eine unabhängige Berichterstattung zu verhindern. Die Polizei nahm mehrere Anführer der Proteste fest und brachte sie in die abgelegene Stadt San Joaquín, nahe der Grenze zu Brasilien.

Die Unruhen hatten vor einer Woche in Cochabamba begonnen, als die Regierung die Gebühren für Wasser um 35 Prozent erhöhte. Den Protesten schlossen sich in den folgenden Tagen landesweit Bauern, Lehrer und Studenten an. In der Hauptstadt La Paz meuterten am Freitag rund 800 Elitepolizisten, die sich in ihrer Kaserne verbarrikadierten und Lohnerhöhungen forderten. Tausende Sympathisanten zogen vor das Gebäude, um ihre Solidarität zu bekunden. In den Städten Patacamaya und Lahuachaca kamen zwei Bauern unter ungeklärten Umständen ums Leben.

Der Ausnahmezustand soll Regierungsangaben zufolge drei Monate in Kraft bleiben. Während dieser Zeit sind die Verfassungsrechte, die Reisefreiheit und die politischen Betätigungsmöglichkeiten eingeschränkt, außerdem gilt ein nächtliches Ausgehverbot. Informationsminister Ronnie MacLean begründete den Schritt damit, dass die Straßenblockaden eine Versorgung der Bevölkerung unmöglich machten. Präsident Hugo Banzer erklärte, die Demonstranten seien eine Gefahr für die Demokratie: „Genau in dem Moment, als wir begannen, einen wichtigen Plan zur Stärkung der Wirtschaft umzusetzen, breitete sich das Chaos aus.“ Banzer hatte das Land 1971 bis 1978 als Militärdiktator beherrscht. 1998 wurde er zum Präsidenten gewählt.

Die bolivianische Regierung will mit der Preiserhöhung nach eigenen Angaben die Kosten in Höhe von 400 Millionen Mark für eine Verbesserung der Wasserversorgung decken. Die Demonstranten kritisieren dagegen, dass die Wassergebühren in Cochabamba nun umgerechnet 60 Mark kosten würden, was sich die Hälfte der 500.000 Einwohner nicht leisten könne. Der jetzt verhängte Ausnahmezustand ist der siebte seit der Rückkehr Boliviens zu einem demokratischen System im Jahr 1982.

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