: Hungern gegen Beugehaft
Der Fall der vier Ukrainerinnen, die wegen fehlender Papiere seit Monaten in Abschiebehaft sitzen, zeigt laut Grünen, dass die Abschiebehaft als Erzwingungshaft instrumentalisiert wird
von DOROTHEE WINDEN
Die vier Ukrainerinnen, die aus Protest gegen ihre monatelange Abschiebehaft sich seit mehreren Wochen im Hungerstreik befinden, sind „völlig erschöpft“ und „am Rande dessen, was sie ertragen können“. Das berichtete gestern eine Delegation grüner Abgeordneter nach einem Besuch.
Die 37-jährige Soja S. und die 24-jährige Dana W., die am Montag nach 52-tägigem Hungerstreik in das Haftkrankenhaus verlegt worden waren, setzen ihren Hungerstreik nach Angaben der Grünen auch dort fort. Lyudmyla O. (22), die sich mit Natalja B. (33) weiterhin im Abschiebegewahrsam Moabit befindet, hat den Hungerstreik am Montag abgebrochen.
Die lange Abschiebehaft seit November bzw. Dezember 1999 ergebe sich, weil fehlende Papiere eine Abschiebung unmöglich machten, erklärte gestern der Sprecher der Innenverwaltung, Stefan Paris. Drei der Frauen verhielten sich „sehr unkooperativ“ bei der Beschaffung der nötigen Reisepässe. Ganz anders bewerten die Grünen die Lage: „Die Ukraine erkennt mindestens zwei der Frauen nicht als Staatsbürgerinnen an“, sagte der grüne Abgeordnete Hartwig Berger, der gestern gemeinsam mit Fraktionschef Wolfgang Wieland und der Bundestagsabgeordneten Claudia Roth die Frauen besuchte. „Solange sie keine ukrainischen Pässe erhalten, müssen sie als Staatenlose behandelt werden“, so Berger. Und sie dürften daher nicht in Haft genommen werden.
Die Fälle zeigen Berger zufolge, dass die Abschiebehaft von der Ausländerbehörde als „Erpressungshaft“ benutzt werde. Ursprünglich diente sie dazu, ein Abtauchen vor einer unmittelbar bevorstehenden Abschiebung zu verhindern. Nun werde sie als „Beugehaft“ instrumentalisiert, um die Mitwirkung bei der Passbeschaffung zu erzwingen. Da die Frauen inzwischen alle eine Meldeadresse vorweisen könnten, müssten sie freigelassen werden, so die Grünen. Die Innenverwaltung bleibt jedoch hart: „Die Frauen bleiben in Abschiebegewahrsam und werden unverzüglich abgeschoben, sobald die Ausreisepapiere vorliegen.“
Ausländerrechtlich gibt es nur wenig Spielraum. Die Frauen sind nach Angaben der Innenverwaltung illegal in die Bundesrepublik eingereist und einer illegalen Beschäftigung nachgegangen. Drei von ihnen hätten als Prostituierte gearbeitet.
Dies sprach eine der Frauen – vermutlich aus Scham – gegenüber der Delegation nur verklausuliert an. „Das, was man ihr über ihre Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland erzählt hätte, habe nicht mit dem übereingestimmt, was sie dann vorgefunden habe“, gab Claudia Roth die Darstellung einer der Frauen wieder. „Die Frauen werden doppelt Opfer“, so die Abgeordnete. Ihre Lage zwischen Zuhältern, Illegalität und der Ausländerbehörde beschrieb Berger gar als „Bermudadreieck des Unheils“.
Roth, die auch Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages ist, kritisierte insbesondere die Berliner Praxis der langen Abschiebehaft. Die rot-grüne Bundesregierung habe sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die bundesgesetzlich geregelte Dauer der Abschiebehaft zu prüfen. „Prinzipiell darf niemand in Abschiebehaft, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen“, so Roth.
Christine Klemm, Rechtsanwältin von Soja S., kritisierte gestern, dass sie kaum Informationen über den Gesundheitszustand ihrer Mandantin erhalte. Die Einsicht in die Krankenakten des Polizeiärztlichen Dienstes sei ihr verweigert worden. Die Innenverwaltung lehne zudem hartnäckig ab, dass die vier Frauen eine Ärztin ihres Vertrauens hinzuziehen dürfen, die ihre Haftunfähigkeit prüft. Darüber entscheidet bislang allein ein bei der Polizei angestellter Arzt.
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