: Wahn und Wehrmacht
Viel nacktes Fleisch und noch mehr Gewalt: Mit Allerseelen zielt der Kresnik-Clan auf den Skandal ab ■ Von Dagmar Penzlin
Die Katholiken tun es: Jedes Jahr am 2. November gedenken sie der Verstorbenen. Dieser Tag heißt Allerseelen. Auch Johann Kresnik und Werner Fritsch wollen am Thalia Theater mit ihrem neuesten Gemeinschaftsprojekt Aller Seelen der Toten gedenken, wollen erinnern an die Opfer und Täter in den Endkriegsjahren 1943 bis 1945. Dass es dabei wenig pietätvoll und katholisch zugehen wird, ist klar – bekanntlich gehört Kresnik nicht gerade zu den zimperlichsten Theatermachern. So ist die Produktion schon vor ihrer Uraufführung am Sonntag nur für Zuschauer ab 18 Jahren freigegeben. „Wir wollen einfach auf Nummer Sicher gehen“, erklärt Thalia-Sprecherin Kirsten Kadenbach.
Es gäbe allerdings auch nichts anderes zu sehen als das, was tagtäglich im Fernsehen gezeigt werde. „Viel nacktes Fleisch eben“, so Kadenbach. Und, liest man die Druckfassung des Stücks, wohl noch mehr Gewalt. Wer den Text möglichst vor dem Besuch einer Aufführung schon kennen lernen möchte, kann dies problemlos tun: Fritschs Aller Seelen erscheint dieser Tage bei Suhrkamp. Klar ist natürlich schon jetzt, dass Kresnik sehr frei mit der Vorlage gearbeitet hat.
Das choreografische Theater Kresniks ist stets ein hoch politisches. Plumpe Schwarzweißmalerei liegt ihm fern, auch wenn er mit provokanten Kontrasten arbeitet. So wechseln auch in Aller Seelen ständig die Rollen: Wer eben noch Täter war, ist im nächsten Moment Opfer und umgekehrt. Nazi-Anhänger wie Widerstandskämpfer morden und werden ermordet. Ist der Schauplatz eben noch ein Bauernhof an der slowenischen Grenze, spielt die nächste Szene im Konzentrationslager. Es geht also weniger um Schuldzuschreibungen als um die radikale Darstellung von Terror und Gewalt. Aufeinander prallen wahnhafter Katholizismus und sexuelle Perversion, kindliche Naivität und berechnende Bergbauernschläue. Ein Skandal, zumindest ein kleiner, ist also durchaus drin. Und vielleicht hat Thalias scheidender Intendant Jürgen Flimm eine Dissonanz im Schlussakkord auch im Hinterkopf gehabt, als er Kresnik versprach, dass dieser einmal noch während seiner Ära im Haus am Alstertor inszenieren solle; die beiden kennen sich aus Köln, wo Kresnik 1961 bis 1968 als Solotänzer engagiert war.
Die Ausgangsbasis für das Projekt Aller Seelen bildeten Gespräche über Kriegserfahrungen zwischen Fritsch und Kresnik. Letzterer, 1939 in Kärnten als Sohn eines Bergbauern geboren, musste 1942 auf dem heimatlichen Bauernhof mit ansehen, wie sein Vater als Mitglied der deutschen Wehrmacht von Partisanen erschossen wurde. „Ich habe früher immer gedacht, dass diese Erinnerung für mein Leben, meine Arbeit nie eine Rolle gespielt hätte. Aber jetzt spüre ich, dass doch etwas geblieben ist,“ bekennt der überzeugte Kommunist.
Und auch Fritsch, Jahrgang 1960, kann auf einen ähnlichen Vatermord zu Kriegszeiten in seiner Familiengeschichte verweisen. Die gesammelten Episoden hat der Schriftsteller schließlich zu einem Traumspiel verdichtet. Darin begibt sich ein greises Kind auf eine albtraumhafte Reise zurück in die Vergangenheit, um sich den damals wie vielleicht auch heute noch unbegriffenen und unbewältigten Erlebnissen erneut auszusetzen.
Das greise Kind, ein Alter ego Kresniks, verkörpert auf der Bühne des Thalia Theaters Joachim Konrad, der wie andere Gastschauspieler schon öfters an Produktionen des Regisseurs mitgewirkt. Ebenso haben Kresnik und Fritsch schon vor 2 Jahren gemeinsam die Schauspielhaus-Produktion Gründgens erarbeitet. Auch Komponist Serge Weber gehört schon seit Jahren zum Kresnik-Clan.
Premieren: 15. April, 20 Uhr + 16. April, 19 Uhr
Weitere Vorstellungen: 15., 16. und 17. Mai, jeweils 20 Uhr, Thalia
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