: Empörung über Delmenhorster Sozialamt
■ Der Nachweis von Wohneigentum wird für eingewanderte Sozialhilfe-Empfänger zum Existenzproblem / Jüdische Flüchtlinge aus den GUS-Staaten fühlen sich drangsaliert
„Heulen und Zähneklappern“ herrsche in der jüdischen Gemeinde in Delmenhorst, sagen Beobachter. Viele jüdische Kontingentflüchtlinge, die in den letzten Jahren aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach Delmenhorst kamen, sehen sich heute einem Betrugsverdacht ausgesetzt, den sie oft kaum entkräften können (siehe untenstehender Bericht). Unerbittliche Recherchen, die das Sozialamt – teils in Eigenregie, teils in Kooperation mit der deutschen Auslandsvertretung – auf der Suche nach Wohnungseigentum im Herkunftsland betreibt, bringt sie in bisweilen schwere Bedrängnis.
Dies bestätigen der Vorsitzende des Landesverbands jüdischer Gemeinden in Niedersachsen, Michael Fürst, und die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Bremen, Elvira Noa. Beide betonen: „Natürlich ist rechtlich vorgesehen, dass das Sozialamt Vermögensverhältnisse prüft.“ Allerdings sei „die Akribie und Hartnäckigkeit“, mit der dies geschehe, beklemmend. Dies zeigten Einzelfälle.
So suchten im Dezember zwei 70-Jährige in der Jüdischen Gemeinde in Bremen Rat. „Weinend und ohne einen Pfennig, nachdem die Sozialhilfe gestoppt wurde“, sagt Noa. Dabei hätten die alten Leute ihren Besitz, den sie nach der Ausreise Freunden im sibirischen Omsk überließen, angegeben – und sogar eine Makler-Bescheinigung vorgelegt, wonach die Wohnung verkauft werden solle. „Das ging der Behörde wohl nicht schnell genug“, sagt Noa. Eine andere Erklärung für das schikanöse Einstellen der Sozialhilfe habe sie nicht. Sie erhalte zahlreiche Hilferufe von Juden – die Delmenhorst verlassen wollten. Eine Entwicklung, die auch den Vorsitzenden der Delmenhorster Gemeinde, Pedro Becerra, bestürzt. Doch auch er musste schon mittellosen Gemeindemitgliedern helfen, nachdem die Sozialhilfe unter Verweis auf Wohnungseigentum im Ausland eingestellt wurde. „Aber die Stadt Delmenhorst hat die jüdische Gemeinde auch sehr unterstützt“, betont er.
„Unsere Arbeit wird durch das Bundesozialhilfegesetz vorgegeben“, erklärt Delmenhorsts Sozialdezernent Friedrich Hübner. Die Voraussetzung für Sozialhilfebezug sei Bedürftigkeit. Diese aber sei bei Immobilienbesitz kaum gegeben. Abteilungsleiter Wolfgang Müller, federführend in der Entwicklung der Delmenhorster Recherchen, die nun auch Wesel und Regensburg betreiben, räumt ein: „Es gibt menschliche Probleme. Aber keine rechtlichen.“ In 55 von bisher 100 Ermittlungen gebe es klare Hinweise auf Privateigentum – von bislang allerdings unklarem Wert. Auch sieht sich die Behörde durch Gerichtsurteile bestätigt. „Wo die Behörde Recht hat, hat sie Recht“, sagt nüchtern der Landesvorsitzende der niedersächsischen Gemeinden. Der Anwalt schlägt vor, dass Erlöse aus Verkäufen in eine unwiderrufliche Lebensversicherung fließen sollen. Rechtlich sei dies möglich – und es könne die Lage entspannen. ede
siehe auch Bericht Seite 7
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen