: Abenteuerfahrt ins Odertal
Die zweite taz-VeloTour 2000: Zum Fahrradnationalpark in die Uckermark.Von Angermünde nach Schwedt – Raubritter, Grütze und Überflutungsgebiete
von BENNO KOCH
Wohl kaum eine Region Brandenburgs ist in der Medienöffentlichkeit der jüngsten Zeit stärker präsent als das Untere Odertal. Der 106 Quadratkilometer große Nationalpark entlang der Oder ist eines von 13 Großschutzgebieten rund um Berlin. Das deutsch-polnische Gemeinschaftsprojekt ist aber nicht nur ein Refugium für Fauna und Flora, sondern auch schlicht ein grandioses Reservat für den sanften Tourismus. Begleitet wird die Entwicklung jedoch von einer heftig geführten Diskussion zwischen den ortsansässigen Bauern und Tourismusmanagern auf der einen und dem für den Flächenaufkauf zuständigen Förderverein auf der anderen Seite.
Die Naturparkverwaltung bekennt sich inzwischen offen auch gegen Widerstände zum „Fahrradnationalpark“. In diesem Sinne hat die Stadt Angermünde Ende Februar eine Radroute vom „Nationalparkbahnhof“ ins nahe, direkt an der Oder gelegene Dorf Stolpe ausgeschildert. Wir begeben uns also auf eine Entdeckungsreise mit Rad & Bahn in diese sehr dünn besiedelte Landschaft.
Mit der Regionalbahn ist Angermünde von Berlin aus in etwa einer Stunde zu erreichen. Die Fahrradmitnahme ist in den großen Mehrzweckabteilen der Doppelstockniederflurwaggons problemlos möglich – Ausnahmen bestätigen hier die Regel. Auf dem Bahnhofsvorplatz der bald 800-jährigen Uckermarkstadt ist dann etwas unscheinbar das erste Schild aus roter Emaille zu entdecken. Wer dem Fahrradsymbol und dem Hinweis „Nationalpark Unteres Odertal“ folgt, gelangt zuerst in die historische Altstadt. Wie weit entfernt das eigentliche Ziel ist und welcher Ort im 60 Kilometer langen Odertal erreicht wird, bleibt das Geheimnis der Stadtväter.
Egal, so weit östlich war Reisen schon immer ein Abenteuer. Also radeln wir zwischen den prächtig restaurierten Fachwerkhäusern weiter über den Marktplatz in Richtung Mündesee. Hinter dem Hotel Seetor biegt der Weg kurz rechts und ohne Ausschilderung gleich wieder links ab. Nun folgt man einem asphaltierten Radweg nahe dem Mündeseeufer und quert an dessen Ende die Bundesstraße 2. Ein unbefestigter Feldweg führt weiter am Dorf Dobberzin vorbei und erreicht die Landstraße nach Stolpe, wo die Ausschilderung endet. Rechts entlang markieren frisch gefällte Alleebaumstümpfe den Weg nach Crussow.
Dann türmen sich mächtige Sanddünen rund um Stolpe auf. Hoch oben thront der mit seinen sechs Metern starken Mauern dickste Bergfried Deutschlands. Die Mannen des Raubritters Tiloff sollen sich im Mittelalter mit heißer Grütze gegen wütende Untertanen verteidigt haben. So heißt der Turm im Volksmund heute Grützpott. Unten im kleinen Hotel Stolper Turm erzählt Frau Woichwill bereitwillig die Geschichte des Ortes, der sogar einmal Stadtrecht besaß. Und auch, dass die Uckermärker einst sehr arm waren. Weil es an bezahlbaren Zutaten fehlte, entstanden Gerichte wie Zander mit Fliedermousse. Heute eine Delikatesse!
Nun öffnet sich die weite, flache, von Auwäldern und Polderwiesen geprägte Landschaft. Nirgendwo in Europa sind derart große natürliche Überflutungsgebiete erhalten geblieben. Im Winter entwickeln sich so bis zu vier Kilometer breite Seenlandschaften entlang der Flussaue. In nordöstlicher Richtung radeln wir zunächst am Hohensaatener Schifffahrtskanal durch menschenleere Landschaften. Ein neuer, von der Europäischen Union geförderter Radweg schlängelt sich glatt asphaltiert über die Deichkronen. Durch mannhohe Schilffelder führen Abstecher zum alten Plattenweg an die Oder. Fischernetze, hölzerne Kähne und große Schafherden begegnen uns. 120 seltene Vogelarten brüten im Nationalpark, darunter Seeadler und Schwarzstörche.
Über Stützkow erreichen wir Criewen, dessen Schlosspark ein Abstecher wert ist, wo auch die Nationalparkverwaltung demnächst ihren Sitz haben wird. Etwas abseits des Schutzgebietes wählen wir die Dorfstraße nach Zützen, um von dort wieder ins Odertal und nach Schwedt zu gelangen. Durch die Fußgängerzone erreichen wir den Bahnhof der Oderstadt. Ist der Zug gerade weg, warten in der Bahnhofstraße kleine kulinarische Erlebnisse wie die der mexikanischen Küche – aber das ist ja schon wieder ein anderes Abenteuer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen