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Höchster Segen für Neonazis

Dank eines Urteils der Karlsruher Bundesrichter durften am Ostersonnabend die Rechten durch Tostedt marschieren  ■ Von Peter Müller und Andreas Speit

Juristischer Etappensieg für die militante Neonaziszene im Norden: Mit höchstrichterlichem Segen und in Begleitung der Polizei konnten am Ostersonnabend rund 80 Neonazis durch Tostedt in der Nordheide marschieren. Lauthals skandierten sie dabei ihre ausländerfeindlichen Parolen: „Ali, Memet, Mustafa – geht zurück nach Ankara“ und „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus.“ Das Tragen von Fahnen, Fackeln, Trommeln sowie Marschformation waren ihnen allerdings untersagt worden.

Der 1. Senat des Bundesverfassungsgericht (BVG) hatte am späten Karfreitag ein vom Landkreis Harburg ausgesprochenes, vom Lüneburger Verwaltungsgericht bestätigtes und vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg bekräftigtes Verbot des Aufmarsches aufgehoben. Die offizielle Begründung des BVG-Beschlusses ist wegen der Osterfeiertage noch nicht bekannt.

Nach taz-Informationen haben die Verfassungsrichter in ihrer Entscheidung aber vor allem das Vorgehen ihrer Verwaltungskollegen moniert, die zwar eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch volksverhetzende Gewalt- und Straftaten vermutet haben, jedoch nicht konkret gepüft hätten, ob diese Gefahr tatsächlich vorliegt. Geschickterweise hatten die Neonazis ihren Aufmarsch gegen „Inländerfeindlichkeit“ als Demo „für Meinungsfreiheit – gegen Demoverbote“ deklariert.

Vorwand des Aufmarsches war eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Skinheads und russischen Aussiedler-Jugendlichen gewesen, bei der am 17. März ein 17-jähriger Skin durch drei Messerstiche verletzt worden war. Die sogenannten „Russlanddeutschen“ wehren sich gegen die Glatzen, die ihren Einfluss auf der Straße und im Jugendzentrum in Tostedt als „befreiter Zone“ (Nazijargon) wiedergewinnen wollen.

Trotz des nach eigener Auffassung „tristen Marsches“ durch das menschenleere Tostedt hat Hamburgs Neonazi-Führer Christan Worch – der zusammen mit dem Tostedter Skinheadführer Sascha Bothe und dem Chef der „Jungen Nationaldemokraten Niedersachsen“ Danny Marquardt den Aufmarsch leitete – durch den BVG-Beschluss Oberwasser bekommen: „Wir sind die Sieger!“ brüllte er ins Mikrofon. „Trotz Verbot sind wir nicht tot.“

Durch das Urteil, dem sechs OVG-Demoverbote in Niedersachsen vorangegangenen seien und „das nicht aus Sympathie“ gefallen sei, so Worch während der Kundgebung am Tostedter Bahnhof, „haben sie uns eine gewaltige Waffe in die Hand gegeben, die man nicht nur den Gerichten um die Ohren hauen kann, sondern die auch für die Zukunft Mut macht.“

Bei Vorkontrollen auf den Anfahrtstraßen hatte die Polizei, so Sprecher Hans-Joachim Grosse, „diverse verbotene Waffen“ beschlagnahmt und einen mit einer scharfen Pistole bewaffneten Neonazi festgenommen. Nachts zuvor hatten Antifas – die am Samstag nicht in Erscheinung traten – das Auto des Tostedter Neonazis Stefan Sieler angezündet.

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