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Nur komplett abzugeben

Die Telekom verkauft ihre Kabelnetze am liebsten an Großkonzerne. Kleine Betreiber fürchten um den Anschluss an die interaktive Zukunft, auch wenn die bislang nur zum Pizza-Bestellen taugt

von JÜRGEN BISCHOFF

Peter Stritzl versteht die Welt nicht mehr: „Bei den bisherigen Verkaufsverfahren drängt sich der Eindruck auf, dass man besonders schlechte Karten hat, wenn man aus Deutschland kommt und dazu noch etwas von Telekommunikation versteht.“ Der Chef des mittelständischen Kabelnetzbetreibers tss würde gerne noch Kabelkapazitäten von der Deutschen Telekom hinzukaufen, doch der halbstaatliche Großkonzern verhandelt lieber mit ausländischen Investoren.

Für Stritzl ein Skandal: „Man stellt sich die Frage, warum noch niemandem, von der EU-Kommission über die Kartellämter bis zum Wirtschaftsministerium, aufgefallen ist, dass die Telekom selbst bestimmen kann, nach welchen Bedingungen die Netze verkauft werden.“

So sei das nun mal in einer Marktwirtschaft, kontert Hans-Ullrich Wenge, Vorstandschef der Telekom-Tochter Kabel Deutschland GmbH. Die Nervosität bei den kleineren, nicht konzerngebundenen Kabelnetzbetreibern ist echt: Das Verhältnis der 131 im Dachverband Anga organisierten Unternehmen, die zusammen rund 7,5 Millionen deutsche Haushalte mit Kabelfernsehen versorgen (Telekom: über 13 Millionen) zum großen Bruder war immer angespannt, jetzt fürchtet die Anga, dass die Telekom-Netze über „Zwischeneigner aus der Finanzbranche zum Spekulationsobjekt“ verkommen und die Mittelständler dann zwischen die Mahlsteine großer ausländischer Kabelunternehmen, Kapitalfonds und Banken geraten.

Chancenloser Mittelstand

Sie selbst haben wenig Chancen, zuzukaufen, weil die Telekom ihre regionalen Netze nur komplett abgeben will. Doch dafür sind die Anga-Unternehmen finanziell und technisch viel zu schwach. Lediglich in Bayern verhandelt die Telekom mit einem Bieterkonsortium, an dem auch mittelständische Unternehmen beteiligt sind.

Das Kabelnetz von Nordrhein-Westfalen ist dagegen im Februar an das amerikanische Unternehmen Callahan verkauft worden. Kurz danach ging auch Hessen an einen ausländischen Anbieter, die englische Investment-Gruppe Klesch. Callahan, das bestätigt Hans-Ullrich Wenge, ist auch noch in Baden-Württemberg der erste Verhandlungspartner der Telekom, während sie in der Region Rheinland-Pfalz und Saarland mit der Amsterdamer UPC verhandelt. UPC, der größte Kabelnetzbetreiber Europas mit Wurzeln in den USA, hat auch dann seinen Fuß in der Tür, falls er nicht mit der Telekom ins Geschäft kommt: Das Unternehmen hat sich schon mal die Mehrheit an Peter Stritzls tss GmbH gesichert. Außerdem ist UPC mit knapp einem Viertel an Primacom beteiligt, einem börsennotierten Kabelanbieter mit regionalen Teilnetzen.

Für UPC kein schlechtes Geschäft, denn hartnäckig halten sich die Gerüchte, dass das Unternehmen eine eigene Digitalfernsehplattform in Konkurrenz zu Kirchs Bezahlfernsehen Premiere World anbieten will. Über eine Million Kabelkunden bei den Tochtergesellschaften wären schon ein guter Start. Außerdem will UPC in den multimedial aufgerüsteten Kabelnetzen auch sein Breitband-Internet-Angebot „chello“ verbreiten.

Dieser zum „europäische Internetdienst des Jahres 1999“ gekürte Service bietet den Nutzern rund um die Uhr einen Kontakt ins Web mit einer Datenübertragungsrate, die bis zu 30-mal schneller ist als ISDN.

Mit einem ähnlichen Angebot will auch Time-Warner (Markenname „Roadrunner“) auf den deutschen Markt gehen. Und ebenso wie UPC buhlt der Medienkonzern um Partner unter den freien Netzbetreibern.

Damit die Kabelnetze mehr analoge und digitale Kanäle sowie interaktive Angebote überhaupt übertragen können, müssen sie zunächst noch ausgebaut werden. Auf die neuen Eigentümer der Netze warten also enorme Investitionen, die die Telekom nicht mehr leisten will. Allein in NRW plant Callahan pro Jahr bis zu eine Million Haushalte umzurüsten, doch selbst dann soll es mindestens vier Jahre dauern, bis die Netze komplett „zukunftsfähig“ sind.

Keiner will Kirchs D-Box

Hinzu kommt das Problem der benötigten digitalen Endgeräte: Die Telekom hat zwar versucht, den Bewerbern die veraltete D-Box aus dem Hause Kirch als einheitlichen Empfänger aufzunötigen, doch die wehrten sich – mit Erfolg: „Jeder Investor ist völlig frei, eine andere Empfangstechnologie zu nutzen“, bestätigt Hans-Ullrich Wenge das Umdenken bei der Telekom.

Das ist auch dringend nötig, denn vieles kann die D-Box gar nicht: So wartet die Bertelsmann Broadband Group auf neue Set-Top-Boxen im MHP-Standard (MHP = Multimedia Home Plattform), die erst ab Herbst zur Verfügung stehen. Erst dann ist beispielsweise ein echtes Video-on-Demand-Angebot möglich, bei dem sich die Zuschauer jederzeit eine Sendung für den heimischen Bildschirm abrufen können. Bis dahin wendet sich Bertelsmann erst einmal an einige wenige Computernutzer in Frankfurt und demnächst neun weiteren deutschen Großstädten, die sich den „Tatort“ oder RTL-Dutzendware breitbandig abrufen wollen. Internet über das TV-Kabel ist aber nicht im Angebot, nur Kleinkommerz ist vorgesehen – etwa wenn bei einem Fußballspiel der Nutzer das Trikot seiner Mannschaft gleich online via Bertelsmann bestellen kann.

Die Zeit wird zeigen, ob es ausgerechnet solche hirnlosen Konsumenten sind, die dem interaktiven Kabelfernsehen den Durchbruch bescheren. In den USA hatte der Medienkonzern Time-Warner nach drei Jahren ein entsprechendes Projekt in Florida mit herben Verlusten wieder eingestellt: Die 4.000 Testfamilien nutzen ihr interaktives TV-Gerät maximal zum Pizza-Bestellen.

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