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Russlanddeutsche zwischen alter und neuer Heimat

In Deutschland leben etwa drei Millionen russischsprachige Menschen. Von 1950 bis 1999 wurden aus der ehemaligen Sowjetunion insgesamt 1.885.342 Aussiedler aufgenommen. Zusammen mit denen aus Rumänien, Polen und der ehemaligen ČSSR macht das eine Zahl von 4.028.867.

Seit der großen Einwanderungswelle im Zeitraum von 1995 bis 1999 ist die Zahl stark rückläufig. Die Politik der Bundesregierung zu den Aussiedlern war in den vergangenen Jahren immer wieder von starken Richtungswechseln geprägt.

85.000 jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion haben sich Ende 1997 in der BRD aufgehalten. Laut dem Fischer Weltalmanach wurden 1998 hunderttausend jüdische Emigranten als Kontingentflüchtlinge anerkannt.

Die Bundesregierung unterstützt seit einiger Zeit keine Großprojekte in den Herkunftsländern mehr. Früher wurde mit geringem Erfolg vor allem in Siedlungen für Russlanddeutsche investiert. Heute werden nur noch kleine Selbsthilfeprojekte unterstützt. Hohe Priorität auch bei der Mittelverteilung legt die Bundesregierung aber auf die Integration der Aussiedler in der BRD.

Ein am 1. Januar in Kraft getretenes Gesetz legt fest, dass die Quote von hunderttausend Aussiedlern pro Jahr nicht mehr überschritten werden darf. Bisher galt eine Quote von zweihunderttausend plus zehn Prozent. Seit einiger Zeit blieb die Zahl der Aussiedler ohnehin bei nur noch knapp über hunderttausend pro Jahr. Vor allem soll die Quote aber Planungssicherheit geben, die Akzeptanz in der Bevölkerung vergrößern, und die Integration verbessern, indem Starthilfen garantiert und die Suche nach Wohnraum und Arbeit erleichtert werden.

Laut einer Studie der Uni Bielefeld vom März 2000 liegt die durchschnittlich getrunkene Alkoholmenge bei den Aussiedlern niedriger als bei den Einheimischen. Ebenso beim Rauschgiftkonsum. Laut einer Studie der Freien Universität Berlin sind vor allem auch die Sozialisation im Herkunftsland und das dadurch unterschiedliche Rollenverständnis und Wertvorstellungen für Integrationsprobleme verantwortlich. So hätten die Russlanddeutschen gerade in ihrer im Herkunftsland ausgegrenzten Situation „deutsche Werte“ gepflegt, wie sie in Deutschland selbst nur noch wenig gepflegt werden.

Das Werteverständnis der Aussiedler entspreche in etwa dem der Generation der Sechzigjährigen in Deutschland. Durch die strikte Rollenverteilung zwischen Mann und Frau sowie die unbestrittene Autorität der Eltern gegenüber auch erwachsenen Kindern seien Probleme beim Einleben in eine liberalere Gesellschaft vorprogrammiert.

Statistisch ist die Arbeitslosenquote von russlanddeutschen Frauen und Männern nicht erfasst; die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit versteht sie als Deutsche und nicht als Russlanddeutsche. Unbekannt ist auch, ob die etwa vier- bis fünfhundert mittelständischen Unternehmen in Deutschland, die von Russlanddeutschen gegründet wurden, Arbeitnehmer mit russischer Herkunft bevorzugt einstellen.

KATHARINA BORN

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