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Die Scherzmaschine

aus Stockholm JAN FEDDERSEN

Stefan Raab sitzt im Restaurant eines Stockholmer Hotels, lässt offen, ob es auch jenes ist, in dem er logiert, um zu verhindern, dass sich vor der Lobby der Herberge wegelagernde Medien einfinden, und erzählt, dass es ihm nichts ausmacht, am Sonnabend, am Ende des Grand Prix Eurovision, Letzter zu werden. „Das wäre nicht schlecht“, sagt der Mann im hellblauen Polohemd.

Mit der Schlussposition ließe sich leben, weil er sich dann besser lustig machen kann über die anderen, die es nicht geschafft haben, gar keine oder die allerwenigsten Punkte bekommen zu haben. Und Rudi Carrell, kein schlechtes Vorbild für einen wie Stefan Raab, weil der es bis zur Primetime im Fernsehen geschafft hat, dieser Carrell hatte auch mal an der Eurovision teilgenommen und den vorletzten Rang belegt.

Letzter Platz? Rudi Carrell machte danach auch TV-Karriere

Danach, Raab weiß das sehr wohl, hat der Niederländer die Poleposition im deutschen TV-Entertainment erreicht und lange gehalten. Und das will der gelernte Metzger und inzwischen erfolgreichste Popsänger der Bundesrepublik auch schaffen. Er könnte mit dem, was er schon erreicht hat, zufrieden sein. Mit Schlagern wie „Böörti, Böörti Vogts“, mit „Hier kommt die Maus“ und mit „Maschendrahtzaun“ hat Raab sich allenthalben einen Platz in den Annalen des bundesdeutschen Alltags gesichert. Und zwar mit einem Stil, den Männer wie der Schmusetalkmaster Andreas Türck oder der ARD-Höfling Ingo Dubinski als kränkend empfunden haben: Den einen hat Raab mit „landminengroßen“ Schweißflecken unter den Achseln decouvriert, den anderen als Mann gezeigt, dessen Argumente unterhalb der Gürtellinie – per Videoclipschnipsel offenkundig – nicht so mächtig ausfallen.

Aber die Quoten beweisen, was nur sie beweisen können: Raab ist der King unter den Jungmenschen. Und um in diese Position zu kommen, bediente sich Raab eines Kniffs, den nur jemand sich ausdenken kann, der sich eine gewisse pubertierende Bösartigkeit bewahrt hat: Er stellt Fragen, in denen sich fast alle wieder erkennen. Fragt Schwimmerin Franziska van Almsick, ob sie beim Training schon mal ins Becken gepinkelt habe. Küsst Franz Beckenbauer 1994 bei der Fußball-WM in den USA die Füße. Das darf als Ironie durchgehen, zumal in Deutschland, wo, wenn einer mal einen Scherz macht, die halbe Nation auf dem Sofa sitzt und übel nimmt.

Und Recht hat ja Raab auch, wenn er sagt, dass die ganzen Fernsehschranzen, die er in ihren Peinlichkeiten vorführt, deren Versprecher und Unpässlichkeiten aufspießt, es nicht besser verdient haben, schließlich müssten sie wissen, auf was sie sich einlassen, und auch noch viel Geld dabei verdienen. Und wer hatte auch schon wirklich etwas dagegen, einen seifigen TV-Menschen wie Ingo Dubinski mit etwas zu vergackeiern, was einen Mann am ehesten trifft: dass sein „Puller“ (Raab) nicht dem entspricht, was sich mann verspricht, um über die Runden zu kommen.

Raab ist für einen solchen Humor prädestiniert, er muss sich, um ihn zu pflegen, nicht verstellen. Vieles hat der Junge aus Köln gemacht, was alle machen. Den Messdiener, als gutes katholisches Kind. Die Schule besucht, nach Auskunft seiner Lehrer mit unauffälligem Einsatz. Sogar bei der Schülerunion hat er mitgemacht („die haben Ausflüge organisiert und so was“), aber das spielt er herunter, um keine Schlüsse auf sein heutiges politisches Denken zuzulassen. In seiner Schulzeit, erzählt er, habe er sich „aussätzig“ gefühlt, und das heißt vor allem: musikalisch. Isley-Brothers, George Benson, James Brown – Soulmänner, die in deutschen Jungsohren nichts anderes machten als „Schwuchtelmusik“. Was er damit meint, demonstriert er an diesem Abend in jenem unterkühlten Stockholmer Hotel und singt mit Kopfstimme ein paar Schluchzer und Kiekser, als wären sie von Altmeister James Brown. Nein, eine Schwuchtel war Stefan Raab nicht. Deshalb hat er schon in ästhetischer Hinsicht keinen Geschmack an der Friedensbewegung der frühen Achtzigerjahre. So eine Parole wie „Hopp, Hopp, Hopp, Atomrüstung Stopp“ hätte er nie mitkrakeelen können, „da wäre ich mir blöde vorgekommen, außerdem mag ich es nicht, das Negative, ich will lieber Positives“. Als er einen Friedensbewegten nachäfft, erkennt man in ihm nicht nur den Deutschen, der allen Bewegungen misstraut, sondern auch den Kritiker an der Uniformität des Habitus seiner Zeit.

Nein, ein Weichei, der alles mitmacht, soll und will er nicht sein. Wenn es gar nicht anders ging, hat er mitgemacht, die Schule, die Bundeswehr, anfänglich das Jurastudium. Ein Junge, der sich nur zäh vom Mainstream befreien konnte: immer nur tun, was die Eltern wünschen. Aber in geschmacklicher Hinsicht hat er keine Konzessionen gemacht. Er fand diese Musik der Browns und Bensons einfach nur gut, weil sie Gefühle transportieren, die zu zeigen Raab selbst schwer fällt. „Ich mag es, vom letzten Platz aus zu kämpfen. Wenn alle sagen, das schaffst du nicht, dann erst recht.“ Er sagt das forsch. Aber ist das auch so gemeint? So war das ja auch bei seiner Idee für „TV total“: Nachdem das Konzept jahrelang von RTL und Sat.1 abgewiesen wurde – bei den öffentlich-rechtlichen Sendern hat Raab es gar nicht erst probiert –, griff Pro7 zu, nicht ahnend, damit eine der wichtigsten Sendungen für das eigene Programmprofil gekauft zu haben. Aber Raab hat es gewusst, ebenso, dass die so genannte Schwuchtelmusik eines Tages wieder hip sein würde – und eben nicht der Bombastrock der Sorte Depeche Mode, weil der nicht ans Herz geht, James Brown hingegen sehr wohl.

Raab lässt es erst gar nicht zu, dass kritische Fragen gestellt werden

Nein, ein Warmduscher ist Stefan Raab nicht, einer der winselt, ein Opfer der Verhältnisse. Eher einer, der in seiner Schulklasse gewohnt war, gehänselt zu werden, weil er ein bisschen nicht so war wie die anderen. So einer resigniert, wäre er nicht so begabt wie Raab, wäre er nicht so diszipliniert, seine musikalischen Qualitäten auch auszureizen. Oder so einer wird Hooligan – jemand, der ein Objekt zum Verprügeln braucht, um den Hass auf die eigene Kränkbarkeit loszuwerden.

Stefan Raab wurde ein unflätiger Junge. Er jammert nicht, er lässt es gar nicht erst zu, kritische Fragen gestellt zu bekommen. Undenkbar, dass einer wie er angegriffen wird. Das hat zuletzt der schwarze Rapper Moses Pelham probiert, der Stefan Raab nach einer Welle der Beschimpfungen verdrosch. Am Ende hatte der Kölner nicht nur gerichtlich Schmerzensgeld erstritten, sondern darf jetzt genießen, dass er noch im Geschäft und Pelham als Star verglüht ist.

Jetzt hofft Stefan Raab auf die Erbschaft Harald Schmidts als Late Night Talker. Verträge gibt es zwar noch nicht, nur vage Pläne. Eine sehr, sehr gute Platzierung am Sonnabend würde der Prüfung der entsprechenden Sender auf die Beine helfen, ihm eine kostbare Stunde vor Mitternacht anzubieten.

Jeden Tag einen Mann, der sich notfalls mit der Ukulele behilft?

Aber die scheuen sich noch, denn anders als Schmidt ist Raab weder als feiner Ironiker noch als böser Sarkast, aber auch sonst nicht als guter Gesprächsförderer bekannt. Jeden Tag eine Stunde einen Mann, der im Notfall sich mit dem Einsatz der Ukulele behilft? Das Risiko ist nicht gering, damit schon nach wenigen Wochen zu scheitern.

Insofern kann es Stefan Raab nicht gleichgültig sein, wie er in Stockholm abschneiden wird. Wird er Letzter – was höchst unwahrscheinlich ist, schließlich wird es genug Raab-Jünger geben, die mit ihren Handys über die Nachbargrenzen gehen und dort wählen –, darf er einen weiteren Kultfaktor zu seinem Status hinzuaddieren. Aber einen der ersten drei Plätze zu schaffen wäre besser. Wie will er sich sonst empfehlen, langfristig so etwas wie „Wetten dass ...?“ zu moderieren, ohne die erfolgreichste Show Deutschlands in den Quotenkeller zu ätzen? Dort könnte er mit seinen Gästen nicht so umspringen wie mit Dubinski, Türck und Carrell: Da ist eine gewisse Verbindlichkeit gefragt, die die Großmütter nicht verschreckt und die Hipster zumindest nicht anwidert. Als Mann, der sich am wohlsten fühlt, wenn er den Außenseiter spielt, als Mann, der in der Mitte keinen Platz haben soll und doch von dort unbedingt geliebt werden will, verfügt er über ganz eigene seelische Strategien, dem möglichen Desaster – einem Mittelplatz – vorzubeugen. So sagt er: „Ich muss nicht gewinnen.“ Was auch keiner verlangt hat. Und: „Es ist nur ein Spaß.“ Dem niemand widerspricht.

Nur dass es stets eine Grimasse wird, wenn er lacht. Dann wird sichtbar, dass Raab (und auch sein Lied) kaltherzig bleibt. Vielleicht, weil es ihn ängstigt zu sagen: „Ich will nur geliebt werden.“ Das ist die Angst des Jungen, der Liebe nur erhielt, wenn er famose Dinge geleistet hat. Deshalb die ganze Angestrengtheit seiner Arbeit, deshalb dieser Fleiß, diese Zwölfstundentage das gesamte Jahr über. Nur deswegen dieser Scannerblick auf die Unpässlichkeiten seiner Mitmenschen: Weiß ich von deinen Schwächen, brauch ich mich nicht davor zu fürchten, dass du dich traust, meine zu enthüllen. Ein Mann eben, der sich als Clown gibt, der früh fürchtete, nur in Vorstadtzelten auftreten zu dürfen. Daher seine Aggressionen, seine Bodyguards, seine Stockholmer Hotelkonspiration.

Wetten, dass irgendwann mal das Publikum wünscht, ihn scheitern zu sehen?

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