piwik no script img

Sanfte Musik statt Nachrichten

Das Belgrader Regime übernimmt in einer Nacht-und-Nebelaktion die Kontrolle über den kritischen Sender Studio B und andere Medien. Oppositionspolitiker treffen sich zur Krisensitzung. Zoran Djindjic spricht von einem Belagerungszustand

aus Berlin Andreas Schwarz

Die Bürger Belgrads waren gestern Morgen schockiert. Der oppositionelle Fernsehsender Studio B sendete die Nachrichten des staatlichen Fernsehens. Auf der Frequenz der unabhängigen Radiosender B2-92 und Radio Index war zu der Zeit des Informationsprogramms nur sanfte Musik zu hören. In der Redaktion der auflagenstärksten unabhängigen serbischen Tageszeitung Blic meldete sich niemand am Telefon.

Alle vier Medien haben ihre Büros im Zentrum Belgrads, in der „Beogradjanka“, dem höchsten Hochhaus der jugoslawischen Haupstadt. Um zwei Uhr morgens waren dort starke Polizeieinheiten eingedrungen und hatten die Redaktionen besetzt.

„Die Polizei hat alle Türen eingeschlagen und die diensthabenden Journalisten und Techniker rausgeschmissen“, erklärte Studio B-Direktor Dragan Kojadinović gegenüber Radio Pancevo, das sich im gleichnamigen Belgrader Vorort befindet und in der serbischen Metropole nur schlecht zu empfangen ist. Die Polizei habe ihre Nacht-und-Nebelaktion mit „mehrmaligem Aufruf zum Aufstand“, „gewalttätigen Aktionen gegen die legal gewählte Regierung“ sowie der „Anstiftung zum Terrorismus“ begründet.

Die jüngste Operation des Regimes bewerteten Vertreter der Opposition als eine logische Fortsetzung der allgemeinen Verschärfung der politischen Lage in Serbien. Allein in der vergangenen Woche wurden mehrere Dutzend oppositionelle Politiker, unabhängige Journalisten und Aktivisten der immer größer werdenden Volksbewegung „Widerstand“ vorübergehend verhaftet und zu Gesprächen vorgeführt. Nun soll die Medienlandschaft Serbiens gleichgeschaltet werden, „damit das Regime in aller Ruhe sein Unwesen treiben kann und die Bürger nichts darüber erfahren“, erklärte ein serbischer Journalist, der zugab, Angst zu haben, und deshalb nicht genannt werden wollte.

„Die Medienlage in Belgrad ist nun schlimmer denn je. Denn niemals zuvor war die Hauptstadt ohne alle unabhängigen und oppositionellen elektronischen Medien“, erklärte der Direktor von B2-92, Veran Matić. Doch sein Sender sei auf eine solche Situation vorbereitet gewesen, und so würde nun das B2-92-Informationsprogramm über die Satellitenverbindung der „Assoziation unabhängiger elektronischer Medien“, der 32 Mitglieder angehören, gesendet werden. Sollte es nicht sofort zu einer ernsthafte Vereinigung der Opposition im Widerstand gegen das Regime kommen, sei in Serbien eine klassische Diktatur zu erwarten.

Die serbischen Oppositionsführer und Mitglieder von „Widerstand“ trafen sich gestern Mittag zu einer Krisensitzung im Belgrader Rathaus, das von der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) verwaltet wird. Anwesend war auch fast das gesamte diplomatische Corps in Belgrad. Wie aus diesen Kreisen zu erfahren war, soll die serbische Opposition erwägen, Studio B zurückzuerobern.

Zoran Djindjić, Vorsitzender der Demokratischen Partei (DS) sagte auf telefonische Anfrage: „Es ist offensichtlich zu einer politischen Eskalation gekommen. Das Regime hat sich wieder einen Schritt vorgewagt, mit dem Ziel, Serbien hermetisch zu isolieren. Man kann immer noch nicht von einem Ausnahmezustand sprechen, aber ein Belagerungszustand ist es schon.“ Studio B wird von der SPO und ihrem Vorsitzenden Vuk Drašković geleitet. Djindjić kündigte an, seine DS und andere Oppositionsparteien würden die SPO bei allen Aktionen zur „Befreiung“ ihres Senders unterstützen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen