: Union im wundersamen Wandel
Angela Merkel (CDU) und Edmund Stoiber (CSU) erklärten gestern den Widerstand der Unionsparteien gegen die Green Card für beendet
aus Berlin PATRIK SCHWARZ
Die Union hat schon wieder einen neuen Hoffnungsträger: die Unternehmensberatungsfirma McKinsey. Fraktionschef Friedrich Merz, selbst mit Berufserfahrung in der Wirtschaft gesegnet, setzt große Erwartungen in die teuren Jungs mit den flotten Anzügen. Merz möchte in Zukunft seine Angestellten in der Bundestagsfraktion persönlich auswählen und setzt dafür auf Expertenrat. „Gerade in der Opposition braucht man gute Leute, um gute Politik zu machen“, schwärmt er werbespotreif. Es klingt, als hätte er am liebsten die Business-Berater selbst zu seinen Assistenten gemacht.
Seit die gelernte Ostdeutsche Angela Merkel in der CDU ganz oben sitzt, scheint es, als sei das DDR-Neuererwesen zum CDU-Parteiprogramm erhoben worden. Es vergeht kaum eine Woche mehr, in der sich die Generation der Kohl-Enkel nicht von einem weiteren Dogma ihrer Vorväter verabschieden würde. Gestern erwischte es die Ausländerpolitik: Auf einer gemeinsamen Strategiesitzung der beiden Schwesterparteien in Berlin leiteten die Unionsspitzen den Kurswechsel bei den Themen Green Card und Zuwanderung ein. Nach Wochen des hinhaltenden Widerstands lenkte gestern sogar CSU-Chef Edmund Stoiber ein.
Ausgerechnet Stoiber fiel die unangenehme Aufgabe zu, den neuen Kurs öffentlich vorzustellen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel in der Berliner CDU-Zentrale ließ er durchblicken, dass die Bundesregierung keine organisierte Front der Ablehnung zu befürchten hat, wenn sie am 9. Juni die Green Card im Bundesrat zur Abstimmung stellt. „Eine Ablehnung der jetzigen Verordnung ist für uns nicht von besonderer Bedeutung“, erklärte Stoiber. Bayern und Baden-Württemberg würden ohnehin seit längerem für besonders qualifizierten Arbeitnehmer aus dem Ausland bürokratische Hürden abbauen. „Ob dann einzelne unionsregierte Länder (am 9. Juni) so oder so abstimmen“, sei nicht weiter wichtig.
Der Kampf gegen die Green Card gilt in der Union als Verliererthema
Spätestens seit der Pleite der Landtagswahl in NRW am vergangenen Sonntag gilt der Kampf gegen die Green Card in der Union als Verliererthema. Jürgen Rüttgers’ Kampagne gegen Zuwanderung fand weder in der öffentlichen Debatte noch beim Wähler die Resonanz, mit der ein Jahr zuvor Roland Koch in Hessen Landeschef wurde. Rüttgers’ Niederlage war noch nicht amtlich, da ließ die CDU ihren früheren Zukunftsminister bereits wie von gestern aussehen.
In einer offensichtlich konzertierten Aktion verkündete CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz schon am Samstagabend, die Wirtschaft brauche natürlich Experten aus dem Ausland. Dann wurde ein internes Papier des von Merkel neu ernannten Internet-Sprechers Thomas Heilmann öffentlich, der Schaden für die Wirtschaftskompetenz der Union fürchtet, wenn sie an der Anti-Green-Card-Linie festhält (siehe Interview unten). Gleichzeitig beschloss am Dienstag das Hardliner-Kabinett des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU), die Green Card im Bundesrat nicht zu blockieren. Gestern kündigte Stoiber für die Sitzung des bayerischen Kabinetts in der nächsten Woche einen ähnlichen Beschluss an.
Um den Kurswechsel nach innen wie außen nicht allzu radikal erscheinen zu lassen, forderten Stoiber und Merkel gestern von der Bundesregierung eine „Gesamtkozeption“ für die Themen Integration und Zuwanderung. Eine gestern eigens gegründete Kommission beider Parteien soll bis zur Sitzung des Bundesrates einen Entschließungsantrag dazu formulieren. Allerdings ist davon auszugehen, dass dieser Antrag eher deklamatorischen Charakter haben wird. Keiner der beiden Parteichefs machte die Zustimmung der Union zur Green Card davon abhängig, dass die Bundesregierung eine solche „Gesamtkonzeption“ vorlegt. Zum Trost für die eigenen Hardliner forderte Stoiber gegen Ende seines Auftritts noch, das individuelle Grundrecht auf Asyl abzuschaffen. Weder Angela Merkel noch die anwesenden Journalisten schenkten der Forderung Beachtung.
Fast schon stolz verweist Angela Merkel auf Raus „Berliner Rede“
Auffällig am Kurswechsel der Union ist die Häufigkeit, mit der sich Unionspolitiker dabei auf Bundespräsident Johannes Rau beziehen. Auch Stoiber und Merkel lobten gestern ausdrücklich Raus „Berliner Rede“, in der dieser vergangenen Freitag ein Gesetz zur Förderung der Ausländerintegration in Deutschland gefordert hatte. Fast schon stolz wies Merkel darauf hin, dass es sich dabei um einen Vorschlag ihrer Partei handelte. Raus Rede dient der Union wohl nicht nur dazu, ihren Schwenk zu bemänteln. Offenbar hat die „Berliner Rede“ wie ein Katalysator gewirkt, der den Wandel befördert hat – und sei es nur, weil damit von höchster Stelle die Integration und Zuwanderung zu zentralen Politikfeldern der Bundesrepublik erklärt wurden. Da wollte die Union nicht außen vor bleiben.
Progressive Abgeordnete in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fürchten allerdings, dass die letzte Schlacht noch nicht geschlagen ist. Dabei stehe es auch der Union gut an, Zuwanderung als Realität anzuerkennen, wie es der Bundespräsident vergangene Woche in seiner Berliner Rede getan habe, sagte ein Unionspolitiker der taz. „Die Zeit des Biedermeier mit ihren eingezäunten Vorgärten ist vorbei“, meinte der Abgeordnete, „es wird nichts mehr so werden, wie es war.“ Energisch wendet sich der liberale Flügel der Unionsfraktion gegen eine Verknüpfung von Green-Card- und Asyldebatte: „Dieses Junktim ist falsch und der Begründungszusammenhang ist falsch.“
Wie bei Kulturrevolutionen üblich, dürften sich aber auch die Konterrevolutionäre schon formieren – zumindest in der CSU. Bewusst sprach CSU-Chef Stoiber gestern konsequent von einem Zuwanderungsbegrenzungsgesetz. Merkel dagegen vermied eine Festlegung auf diese Vokabel. Wie liberal die Gesamtkonzeption der Union letztlich ausfällt, wird von ihrem Reformeifer abhängen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen