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Chinas Tore stehen weit offen

Der Beitritt zur WTO ist gesichert. US-Präsident Clinton jubelt: „Historischer Schritt für den Wohlstand in den USA und Reformen in China“

aus PekingGEORG BLUME

Washington habe „weise“ entschieden. Mit diesem Adjektiv, das in China gewöhnlich nur kommunistischen Parteichefs und Konfuzius zusteht, kommentierten gestern die Pekinger Ministerien für Auswärtige Beziehungen und Außenhandel das Votum des amerikanischen Repräsentantenhauses vom Vorabend, China den permanenten Meistbegünstigungsstatus in den Handelsbeziehungen beider Länder einzuräumen. Mit einem überraschend deutlichen Stimmenverhältnis von 237 Ja- gegen 197 Neinstimmen brachte das Repräsentantenhaus China an die Schwelle zur Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO). Auch US-Präsident Bill Clinton begrüßte die Abstimmung. Sie sei ein „historischer Schritt sowohl für den Wohlstand in den USA als auch für Reformen in China“, sagte der Präsident.

Alles Weitere ist Formsache. In Washington muss sich noch der Senat für die Normalisierung der Handelsbeziehungen mit China aussprechen. China selbst wird in den nächsten Wochen mit Mexiko und fünf anderen mittelamerikanischen Staaten verhandeln.

Auch Taiwan vor Beitritt

Dann aber werden alle 136 Mitgliedsstaaten der WTO zufrieden sein und die Volksrepublik voraussichtlich noch in diesem Jahr in ihre Organisation aufnehmen – übrigens dicht gefolgt von Taiwan, dessen Mitgliedschaft während der jetzt 14 Jahre dauernden Beitrittverhandlungen mit China nur auf Pekings Wunsch hinausgeschoben wurde. Das Ergebnis ist für westliche Großkonzerne und Finanzmagnaten berauschend: Mit China beugt sich das letzte Bollwerk einer anderen Wirtschaftsform ihrem globalen Regiment. Chinesische Gesetze und Vorschriften werden nun den internationalen Normen angepasst. Zölle und Tarife sinken. Viele Beschränkungen für ausländische Unternehmen in China entfallen.

„Darauf habe ich seit Jahren gewartet“, jubelt Li Fengjiang, Niederlassungschef der deutschen Baumarktkette Obi in Shanghai, über den besiegelten WTO-Beitritt. Obi wird nun deutsche Fußböden, Bohrmaschinen und Werkzeuge auf Grund niedrigerer Zölle zu deutlich geringeren Preisen für chinesische Kunden anbieten können. Außerdem fallen für Obi bisher bestehende Zwänge zur Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen weg.

Auch die meisten chinesischen Firmen begrüßen den bevorstehenden WTO-Beitritt ihres Landes. Für die bislang erfolgreichste Internetfirma Chinas, Sohu.com, ergeben sich neue Möglichkeiten, Risikokapital im Ausland aufzunehmen. „Je offener das Land, desto besser für Internetunternehmen“, kommentiert Wu Shaoping, Webmasterin bei Sohu.com, den Durchbruch der Freihandelsbefürworter in Washington. Wu erkennt im WTO-Beitritt einen „Anstoß für die ganze chinesische Wirtschaft“, die sich nun an klarere Rechtsvorschriften halten und in einem stärkeren Wettbewerb bewähren müsse. „Die WTO-Mitgliedschaft bedeutet für China, dass die Reformen weitergeführt werden müssen und nicht mehr zurückgenommen werden können“, glaubt Wu.

Dennoch wird die Mehrheit der Chinesen vom WTO-Beitritt ihres Landes allenfalls langfristig profitieren. Kurzfristig drohen Landbewohnern, die drei Viertel der Bevölkerung stellen, Einkommensverluste durch billige Agrarimporte aus den USA. Für die meisten chinesischen Bauern wird der Anbau von Raps, Mais und Baumwolle in Zukunft unrentabel werden. Das könnte eine Landflucht auslösen, die wiederum die Zahl der Arbeitslosen in den Städten, die im Zuge der Reformpolitik bereits drastisch gestiegen ist, weiter anwachsen lassen würde.

Erfolg für KP-Führer

Kein Wunder also, wenn die Pekinger „Jugendzeitung“ den Washingtoner Beschluss mit der Titelzeile „Kein Geschenk für China“ aufnimmt. Und trotzdem dürften Parteichef Jiang Zemin und sein Premier Zhu Rongji der Regierung in Washington gestern dankbar gewesen sein. Ihre politische Zukunft wäre ohne eine Einigung mit den USA in Gefahr gewesen. Zu sehr hatten sich die beiden wichtigsten KP-Führer in den letzten Jahren für eine Öffnung zum Westen und die von ihnen initiierte „strategische Partnerschaft“ mit den USA stark gemacht, als dass eine Rückweisung ihrer Offerten innenpolitisch ganz folgenlos geblieben wäre.

Ihr Dank gebührt Bill Clinton. Wie bei kaum einer anderen außenpolitischen Entscheidung seiner Amtszeit hatte sich der US-Präsident in den vergangenen Wochen persönlich eingesetzt und eine große Zahl unentschiedener Kongressabgeordneter der eigenen demokratischen Partei auf seine Seite gebracht.

Dabei argumentierte Clinton zunehmend sicherheitspolitisch und warnte vor einem Kalten Krieg mit China. Entsprechend erleichtert zeigte er sich nach gewonnener Abstimmung: „Ein guter Tag für Amerika und den Frieden auf der Welt“. Doch sind die amerikanisch-chinesischen Beziehungen damit längst nicht von Spannungen befreit. Ein heftiger Streit zwischen Peking und Washington steht noch diesen Sommer mit der möglichen Verabschiedung amerikanischer Pläne zur Errichtung eines Raketenabwehrsystems in Alaska bevor. Und auch der Menschenrechtszwist wird weitergehen: Die neuen Pläne des US-Kongresses, ein Komitee für die Überwachung der Menschenrechte in China einzurichten, bezeichnete ein Pekinger Regierungssprecher gestern als „unakzeptable Einmischung in innere Angelegenheiten“.

Doch über alle Einzelstreitpunkte hinweg besteht nun in einer prinzipiellen Sache Einverständnis: Die Globalisierung soll weitergehen – mit den USA und China an ihrer Spitze.

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