: Bahnhof ohne Anschluss
Die Bahn fährt Berlin auf das Abstellgleis: Wird das Großprojekt Lehrter Zentralbahnhof abgespeckt, ist die Zukunft eines ganzen Stadtquartiers gefährdet. Statt eines Bahnhofsviertels droht die Brache
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Als Axel Schultes einmal gefragt wurde, warum er das neue Kanzleramt so hoch und so wuchtig geplant habe, war der Architekt um eine Antwort nicht verlegen. Neben dem riesigen Lehrter Zentralbahnhof könne das Haus für den Regierungschef doch nicht abfallen. Der Kanzler kleiner als die Eisenbahn, „das geht nicht“, sagte Schultes. Außerdem seien der Städtebau im Regierungsviertel und das vorgesehene Bahnhofsviertel aufeinander abgestimmt.
Geht es nach den Plänen der Bahn AG, braucht sich Axel Schultes um das Kanzleramt nicht zu sorgen. Die Ankündigung von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, die beiden großen Bürohochhaus-Brücken über dem 420 Meter langen ICE-Bahnhof aus der Investitionsplanung zu streichen, verkleinert im städtebaulichen Maßstab nicht nur das zentrale Bahnhofsprojekt im Verhältnis zum Regierungssitz. Der Kanzler wird auch deshalb zur Dominante, zieht doch das Aus für das rund eine Milliarde Mark teure Verkehrsbauwerk gleich den Verlust eines ganzen Stadtquartiers am Lehrter Bahnhof nach sich.
Parallel zum vollmundig propagierten „Bahnkreuz Berlin“ hatten die Bauverwaltung und die Bahn AG 1994 die „Entwicklung des Gebiets“ zu einem Stadtviertel in der Dimension des Potsdamer Platzes vorgestellt. Nach den Entwürfen des Kölner Architekten Oswald Mathias Ungers und des Schweizer Planers Max Dudler sollen zwei Hochhäuser südlich und nördlich des Bahnhofs entstehen – ein „Klein-Manhattan“, wie der grüne Verkehrspolitiker Michael Cramer spottet.
Schließlich ist vorgesehen, sieben Blöcke entlang der Gleistrasse und ein Wohngebiet nördlich der Verkehrsanlagen zu errichten. Das Büro- und Dienstleistungsviertel mit weiteren kommerziellen Einrichtungen sowie die Wohnbauten sollten „eine prägnante Markierung des Areals in der Stadtsilhouette bewirken“, so die Bauverwaltung.
Dass der Verlust des Zentrums – die Bürobrücken – nun ein Scheitern des Gesamtplans nachziehen wird, fürchten jetzt auch die Stadtentwicklungsverwaltung und Wirtschaftsverbände. Das Zugpferd ICE-Bahnhof wäre so abgehalftert, dass Investoren für die rund 300.000 Quadratmeter zusätzlicher Büroflächen schwerlich gefunden werden könnten, sagt Axel Wunschel, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes Bauen. Ein ganzes Quartier bliebe so auf der Strecke, zumal in der Hauptstadt der Büroflächenmarkt boome.
Die großspurig angekündigten Projekte der Ex-Bahn-Chefs Heinz Dürr und Johannes Ludewig fallen nun auch Berlin vor die Füße. „Stuttgart 21“, eine Megaplanung der Bahn, liegt auf Eis. Der Lehrter Bahnhof schmilzt. Darunter erkennt man schon die Brache mit Gleisanschluss.
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