: Plattenkämpfe
Empfehlung ohne Einschränkung: Karsten Krampitz’ toller Schlüsselroman über die Obdachlosenzeitungsszene
Ende Juli war es im letzten Jahr, und im Fernsehen auf Pro 7 lief gerade ein Krimi über Frauenmassenmörder. Da tauchte Karsten Krampitz auf, setzte sich auf mein Sofa und trank mein Bier. Ich war auf gute Kontakte zur Presse aus, jede Rezension in jedem noch so abgelegenen Blatt hielt ich für wichtig, um meinem ersten Roman Käufer zuzuführen. die strassenzeitung hieß das Organ, für das Krampitz arbeitete, ein bemerkenswerter Name für eine Zeitung, sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtschreibung falsch geschrieben.
Ich erinnerte mich an die Zeit, als nicht nur ich das Gefühl hatte, in Berlin gebe es deutlich mehr Obdachlosenzeitungen als Obdachlose. Das war Wasser auf Krampitz’ Mühlen, es sprudelte aus ihm heraus, unmöglich war es mir, ihm bei dem Kurzabriss über die Obdachlosenzeitungen zu folgen: Der Loser kam vom Wohnungsloser, Haz und Mob vereinigten sich zur Motz, strassenfeger wurde gegründet, um Die Platte fertig zu machen. Zeitdruck gebe es immer noch. Auf den Zeitungsmessen frage er, Krampitz, immer die verschiedenen Kollegen: „Und bei welcher Zeitung sind wir dieses Jahr?“
Auch bei der Aufzählung der verschiedenen Feindschaften konnte ich ihm nicht richtig folgen, fragte aber dann: „Kann es sein, dass diese unübersehbare Fülle von Obdachlosenzeitungen von vier, fünf Personen betrieben wurde?“ Krampitz lachte sich halbtot, sagte aber, genauso sei es. Als ich ihm dann von meinem Plan zu einem Roman über das Zeitungswesen erzählte, erfuhr ich, dass er sogar schon einen geschrieben hatte. Er wäre in Verhandlungen mit Eichborn, und dieser Roman wäre Motz ein Schlag in die Fresse. Dann musste er schon weg, ein Punk sei von Faschos vor eine S-Bahn geschubst worden, Arm und Bein ab, Niere auch hin. Er müsse das Interview abschreiben.
Später dann erfuhr ich, dass es mit Eichborn leider nicht geklappt hätte, aber dafür sei jetzt die Buchpräsentation vom Karin Kramer Verlag. Dazu kann man Krampitz beglückwünschen, doch kriegt er bei Kramer wohl ungefähr 10.000 Mark weniger als bei Eichborn, das eine reine Schätzung. „Affentöter“ heißt das Werk. Das Layout ist bescheiden, ich weiß nicht mit welcher Drucktechnik sie diesen Tintenstrahleffekt hinkriegen. Trotzdem habe ich es an einem Tag verschlungen, seine Durchlaucht Krampitz beherrscht durchaus das Handwerk des Schreibens, dazu sozusagen Journalistenschnurren mit Prominenten wie Jürgen Fliege oder Inge Meysel.
Also an dieser Stelle eine Empfehlung ohne Einschränkung: Wer wenigstens ein bisschen wissen will, was es mit jenen eigenartigen Typen auf sich hat, die in der U-Bahn sagen: „Entschuldigen Sie die Störung, aber ich bin obdachlos, HIV-positiv, eine Mark geht an den Verkäufer!“, dann bekommt man im „Affentöter“ etwas Aufklärung. Aber auch nicht zu viel, Asphalt und Crux heißen die Zeitungen im Roman.
Zu Jürgen Fliege muss ich hier noch verkünden, was ich neulich gehört habe. Der geschätzte Kollege Hinnark Husen vom Salbader war es, der genau wusste, dass der unsympathische Fernsehpfarrer mit einem großen Korb voller gehäkelter Topflappen in seinem Büro aufgetaucht sei mit den Worten: „Das passiert, wenn Frauen ab 40 nicht mehr gefickt werden.“ Pfui Pfarrer Pfliege! FALKO HENNIG
Karsten Krampitz: „Affentöter“. Karin Kramer Verlag, Berlin 1999, 120 Seiten, 19,80 DM
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