: Protest als Geste
Die Grüne Barbara Steffens verwirrt: Erst verhandelt sie den rot-grünen Koalitionsvertrag in Düsseldorf, dann distanziert sie sich davon
Große Worte, gelassen ausgesprochen: „Es geht nicht um die Zukunft einzelner, sondern um die der gesamten Partei, und dazu muss jeder und jede eine Entscheidung treffen.“ Barbara Steffens hat ihre Entscheidung getroffen. In einem Brief an die Basis informierte die stellvertretende grüne Landtagsfraktionsvorsitzende ihre Partei, dass sie nicht an einen wirklichen Koalitionsneuanfang glaube, „sondern an ein Zementieren der Politik der Vergangenheit“. Denn die SPD habe ihre „Linie des Provozierens auf unsere Kosten“ in den Verhandlungen fortgesetzt und werde dies auch weiterhin tun. Deshalb wolle sie am Wochenende auf dem Landesparteitag der Grünen in Bonn gegen den rot-grünen Koalitionsvertrag stimmen – und damit gegen den Vertrag, den sie selbst mitverhandelt hat, auf den sie nach der entscheidenden Nachtsitzung vor einer Woche um drei Uhr morgens mit einem Schnäpschen anstieß und dessen redaktionelle Endfassung sie mitformulierte.
Ein Widerspruch? Nein, Steffens verkörpert damit weiter eine Rolle, die ihr seit Jahren bei den nordrhein-westfälischen Grünen zugewiesen ist und die sie mit Verve spielt: die der kämpferischen Linken. Zweimal stimmte sie als Landessprecherin auf grünen Sonderparteitagen für einen Ausstieg aus der letzten rot-grünen Koalition in Düsseldorf und votierte gegen den Kosovokrieg. Damit bediente sie die rebellischen Bedürfnisse gerade der traditionell linken Ruhrgebiets-Kreisverbände und hatte so eine wichtige integrierende Funktion. Das wissen auch die Realos. Nachdem alle führenden Regierungskritiker bei der Aufstellung der grünen Liste für die jetzige Landtagswahl durchfielen, sollte ihre Platzierung auf einem sicheren Platz die verärgerte Parteilinke beruhigen. Und um einen strömungspolitisch ausgewogenen Fraktionsvorstand hinzubekommen, wurde sie neben dem Realo Reiner Priggen zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt.
Die Koalition wird durch ihre Rebellion im Wasserglas nicht ernsthaft gefährdet werden. Auch Steffens geht davon aus, dass der rot-grüne Vertrag am Samstag den grünen Parteitag passiert. Für diesen Fall hat sie wie ihre Mitdissidenten Thomas Rommelspacher und Marianne Hürten bereits versichert, „ohne Wenn und Aber“ am 21. Juni bei der Ministerpräsidentenwahl für Clement zu stimmen. Auf ihre drei Stimmen kommt es an: Die rot-grüne Koalition hat 119 Mandate, eine SPD-Abgeordnete wird aufgrund eines Unfalls fehlen – bleiben 118 Stimmen. Für die Wahl Clements sind 116 Stimmen nötig. PASCAL BEUCKER
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