„Keine Aufgabe von Gorleben“

Wortlaut der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen (EVU) vom 14. Juni 2000 in Auszügen

„Unbeschadet der nach wie vor unterschiedlichen Haltungen zur Nutzung der Kernenergie respektieren die EVU die Entscheidung der Bundesregierung, die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet beenden zu wollen.

Vor diesem Hintergrund verständigen sich Bundesregierung und EVU darauf, die künftige Nutzung der vorhandenen Kernkraftwerke zu befristen. Andererseits soll unter Beibehaltung eines hohen Sicherheitsniveaus und unter Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen für die verbleibende Nutzungsdauer der ungestörte Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung gewährleistet werden. [...] Bundesregierung und Versorgungsunternehmen gehen davon aus, dass diese Vereinbarung und ihre Umsetzung nicht zu Entschädigungsansprüchen zwischen den Beteiligten führt. [...]

II. Beschränkung des Betriebs der bestehenden Anlagen

1. Für jede einzelne Anlage wird festgelegt, welche Strommenge sie gerechnet ab dem 1.1.2000 bis zu ihrer Stilllegung maximal produzieren darf (Reststrommenge). Die Berechtigung zum Betrieb eines KKW endet, wenn die vorgesehene bzw. durch Übertragung geänderte Strommenge für die jeweilige Anlage erreicht ist.

2. Die Reststrommenge (netto) wird wie folgt berechnet:

Für jede Anlage wird auf der Grundlage einer Regellaufzeit von 32 Kalenderjahren ab Beginn des kommerziellen Leistungsbetriebs die ab dem 1.1.2000 noch verbleibende Restlaufzeit errechnet. Für Obrigheim wird eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2002 vereinbart.

Weiterhin wird eine jahresbezogene Referenzmenge zu Grunde gelegt, die für jedes Kraftwerk als Durchschnitt der 5 höchsten Jahresproduktionen zwischen 1990 und 1999 berechnet wird. Die Referenzmenge beträgt für die KKW insgesamt 160,99 TWh/a (ohne Mülheim-Kärlich).

Gegenüber diesen Referenzmengen wird für die Restlaufzeit auf Grund der sich fortsetzenden technischen Optimierung, der Leistungserhöhung einzelner Anlagen und der durch die Liberalisierung u. a. veränderten Reservepflicht zur Netzstabilisierung eine um 5,5 % höhere Jahresproduktion unterstellt. Die Reststrommenge ergibt sich durch Multiplikation der um 5,5 % erhöhten Referenzmenge mit der Restlaufzeit. [...]

4. Die EVU können Strommengen (Produktionsrechte) durch Mitteilung der beteiligten Betreiber an das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) von einem KKW auf ein anderes KKW übertragen.

Zwischen den Verhandlungspartnern besteht Einvernehmen, dass die Flexibilität genutzt wird, um Strommengen von weniger wirtschaftlichen auf wirtschaftlichere Anlagen zu übertragen. Deshalb werden grundsätzlich Strommengen von älteren auf neuere und von kleineren auf größere Anlagen übertragen. [...]

5. RWE zieht den Genehmigungsantrag für das KKW Mülheim-Kärlich zurück. Ebenso nimmt das Unternehmen die Klage auf Schadensersatz gegen das Land Rheinland-Pfalz zurück. [...]

RWE erhält die Möglichkeit, entsprechend der Vereinbarung 107,25 TWh [...] auf andere KKW zu übertragen.

Es besteht Einvernehmen, dass diese Strommenge auf das KKW Emsland oder andere neuere Anlagen sowie auf die Blöcke B und C des KKW Gundremmingen und max. 20 % auf das KKW Biblis B übertragen werden.

III. Betrieb der Anlagen während der Restlaufzeit

1. Sicherheitsstandard

[...] Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter gewährleistet; die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und die diesem zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. Bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen gewährleistet die Bundesregierung den ungestörten Betrieb der Anlagen. [...]

IV. Entsorgung

1. Zwischenlager

Die EVU errichten so zügig wie möglich an den Standorten der KKW oder in deren Nähe Zwischenlager. Es wird gemeinsam nach Möglichkeiten gesucht, vorläufige Lagermöglichkeiten an den Standorten vor Inbetriebnahme der Zwischenlager zu schaffen.

2. Wiederaufarbeitung

Die Entsorgung radioaktiver Abfälle aus dem Betrieb von KKW wird ab dem 1.7.2005 auf die direkte Endlagerung beschränkt. Bis zu diesem Zeitpunkt sind Transporte zur Wiederaufarbeitung zulässig. Angelieferte Mengen dürfen verarbeitet werden. Die Wiederaufarbeitung setzt den Nachweis der schadlosen Verwertung für die zurückzunehmenden Wiederaufarbeitungsprodukte voraus. [...]

Die Bundesregierung und EVU gehen davon aus, dass in dem vorgesehenen Zeitraum die noch verbleibenden Mengen transportiert werden können. Sie gehen des Weiteren davon aus, dass die Genehmigungsverfahren für Transporte zur Wiederaufarbeitung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bis zum Sommer 2000 abgeschlossen werden können. [...]

3. Transporte

Die EVU können abgebrannte Brennelemente bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bis zur Inbetriebnahme der jeweiligen standortnahen Zwischenlager in die regionalen Zwischenlager sowie bis zur Beendigung der Wiederaufarbeitung ins Ausland transportieren. Beide Seiten gehen davon aus, dass die standortnahen Zwischenlager in einem Zeitraum von längstens fünf Jahren betriebsbereit sind. [...]

4. Gorleben

Die Erkundung des Salzstockes in Gorleben wird bis zur Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer Fragen für mindestens 3, längstens jedoch 10 Jahre unterbrochen.

Die Bundesregierung gibt zur Erkundung des Salzstockes Gorleben eine Erklärung ab, die als Anlage 4 Bestandteil dieser Vereinbarung ist.

5. Pilotkonditionierungsanlage

Die zuständigen Behörden schließen das Genehmigungsverfahren für die Pilotkonditionierungsanlage nach den gesetzlichen Bestimmungen ab. Die Nutzung der Anlage wird auf die Reparatur schadhafter Behälter beschränkt. [...]

6. Schacht Konrad

Die zuständigen Behörden schließen das Planfeststellungsverfahren für den Schacht Konrad nach den gesetzlichen Bestimmungen ab. Der Antragsteller nimmt den Antrag auf sofortige Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses zurück, um eine gerichtliche Überprüfung im Hauptsacheverfahren zu ermöglichen.

7. Kosten für Gorleben und Schacht Konrad

Es besteht Einvernehmen, dass die Kosten für Gorleben und Schacht Konrad notwendigen Aufwand darstellen. Die EVU werden daher im Hinblick auf Gorleben und auf die von ihnen anteilig zu übernehmenden Kosten für Schacht Konrad keine Rückzahlung von Vorauszahlungen verlangen. Grundlage ist die vom Bund abgegebene Zusage zur Sicherung des Standortes Gorleben während des Moratoriums (vgl. in Anlage 4 die Erklärung des Bundes zur Erkundung des Salzstockes in Gorleben). [...]

Anlage 4

Erklärung des Bundes zur Erkundung des Salzstockes in Gorleben. [...]

Als potenzielle Wirtsgesteine für Endlager kommen sowohl Salz als auch andere Gesteinsformationen wie Granit und Ton in Betracht. 1979 wurde entschieden, für eine mögliche Endlagerung den Salzstock Gorleben zu erkunden. Die dabei bisher gewonnenen geologischen Erkenntnisse stellen sich im Wesentlichen wie folgt dar:

[...] Die analytisch bestimmten Hebungsraten des Salzstockes lassen erwarten, dass im Hinblick auf mögliche Hebungen auch in sehr langen Zeithorizonten (größenordnungsmäßig 1 Mio. Jahre) nicht mit hierdurch verursachten Gefährdungen zu rechnen ist. Es wurden keine nennenswerten Lösungs-, Gas- und Kondensateinschlüsse im Älteren Steinsalz gefunden. Die bisherigen Erkenntnisse über ein dichtes Gebirge und damit die Barrierefunktion des Salzes wurden positiv bestätigt. Somit stehen die bisher gewonnenen geologischen Befunde einer Eignungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben zwar nicht entgegen.

Allerdings sieht die Bundesregierung im Zusammenhang mit der laufenden internationalen Diskussion die Notwendigkeit, die Eignungskriterien für ein Endlager fortzuentwickeln und die Konzeption für die Endlagerung radioaktiver Abfälle zu überarbeiten. [...] Vor allem folgende Fragestellungen begründen Zweifel: Die Beherrschbarkeit von Gasbildung in dichtem Salzgestein in Folge von Korrosion und Zersetzung der Abfälle stellt ein besonderes Problem dar. – International wird verstärkt die Rückholbarkeit der radioaktiven Abfälle gefordert. Dagegen zielt die bisherige Konzeption auf den dichten Einschluss im Salz. [...]

Das Moratorium bedeutet keine Aufgabe von Gorleben als Standort für ein Endlager. [...] Der Bund ergreift die erforderlichen Maßnahmen, um während des Moratoriums den Standort Gorleben zu sichern. [...] Der Bund wird die notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit die [...] 10-jährige Verlängerung des Rahmenbetriebsplans für das Erkundungsbergwerk erteilt wird. [...]“

www.taz.de/vereinbarung