: Ballermann der anderen Art
Saufen, raufen und ficken: Darauf stehen schwule Skinheads. Die Glatzenschwestern schicken sich an, die Nachfolge der supervirilen Ledertrinen anzutreten. Handtäschchen werden verachtet,Fascho-Skins dagegen toleriert. Der Traum vom richtigen Mann?
von MARTIN REICHERT
Blind Date mit einem Skinhead. Nicht im Ostberliner Plattengetto, sondern im Schöneberger Schwulenkiez, Treffpunkt Café Berio, mit Putten, Milchkaffee und schwulen Designerkellnern. Detlef H. ist ein „Gay Skinhead“ vom Verein „Berlin Leder und Fetisch“ und auch ohne Lilie im Knopfloch zu erkennen: kahler Schädel, Sneakers, Jeans und Lonsdale-T-Shirt.
Handtäschchen sind nicht mein Fall, mit weiblichen Attitüden kann ich mich nicht anfreunden“, sagt H.. (Jetzt nur nicht die Zigarette falsch halten, zwischen Daumen und Zeigefinger gepresst und nach unten gehalten ist richtig!). Vor ungefähr zwei Jahren ist er auf den Dreh gekommen und hat den Skin-Fetisch für sich entdeckt, reist seitdem quer durch Europa zu Skinheadtreffen – das letzte war im Mai in Antwerpen – und organisiert nachmittägliche Skinkaffeekränzchen.
Damit liegt er schon lange im Trend: Wer zum ersten Mal in die Ostberliner Darkroomkneipe „Greifbar“ geht, kann den Eindruck gewinnen, aus Versehen in ein rechtsradikales Kameradschaftstreffen geraten zu sein. Der Griff zum schwulen Überfalltelefon erübrigt sich jedoch bei näherem Hinsehen: Wie alle anderen Anwesenden auch sind die martialisch aussehenden Jungs an Männersex interessiert. Ein erfahrener Ledermann: „Wenn man die anpikst, legen sie sich auch auf den Bauch und quieken.“ Er muss es wissen, denn die Glatzen haben, zusammen mit den Uniform- und Gummifetischisten, die Nachfolge der von zunehmender Vergreisung bedrohten Lederfraktion angetreten. So hat Detlef H. auch noch jede Menge Gegerbtes im Schrank, zuletzt getragen beim Berliner Ledertreffen zu Ostern.
Der Sexualwissenschaftler Erwin Haeberle verortet das Phänomen entsprechend als milde Form des Fetischismus: „Das ist eine Kostümierung, um sich von allem Tuntenhaften abzusetzen, früher war man eben Lederkerl oder hat sich ein Holzfällerhemd angezogen.“ Der Sexologe wundert sich zwar über die paradoxe Erscheinung, dass die sonst eher mit „Schwule klatschen“ assoziierten Skinheads jetzt eine schwule Unterabteilung haben, findet aber ansonsten, dass man dies nicht überbewerten dürfe. Scheppernd lachend – Haeberle ist 64 Jahre alt – weist er darauf hin, das gerade nicht mehr ganz so junge Schwule sich dem Fetischkult zwischen Leder und Uniform zuwenden. Der Fetisch oder die Kostümierung, die Inszenierung von Männlichkeit und hartem Kerlesex rückt in den Vordergrund.
So gesehen ist die Skinheadnummer ideal für Schwule: Wer sowieso schon schütteres Haar hat, kann es gleich ganz wegrasieren. Da Skinheads das Image einer jugendlichen Subkultur haben, fällt das „Boy“sein mit Bomberjacke leichter. In der Tat scheint der Altersdurchschnitt der schwulen Skinheads höher zu liegen als der ihrer vom Verfassungsschutz zu beobachtenden Mitbrüder aus Schwedt und anderswoher. Schwuler Jugendwahn allein reicht jedoch nicht als Erklärung.
Beim Durchsurfen des Internets wird dagegen allerhand klar, denn fast alle Websites von schwulen Skinheads weisen gewisse Konstanten auf: S/M und Vergewaltigungsfantasien, Vorliebe für Männer in Uniformen und „Golden Shower“-Spiele. Man wäscht sich nicht gern, abgestandener Männerschweiß gilt mehr als Calvin Klein, man pinkelt sich gegenseitig an und schnüffelt an Stiefeln oder lässt sich von selbigen lustvoll auf den Boden drücken. Es geht um die Sehnsucht nach unmittelbarer, archaischer Männlichkeit, mit H&M-Menschen und Blümchensex will mann lieber nichts zu tun haben. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel: Ein Bekannter von H. wird von Kennern „Klaus der Kuschelskin“ genannt.
Die Überschneidungen zwischen Uniformfetischismus und Skinheadkult liegen auf der Hand, Glatze bedeutet auch Uniformierung. Männern werden beim Militär und im Gefängnis die Haare geschoren; diese Machtsymbolik impliziert erotische Fantasien, wie sie etwa in den erfolgreichen Pornoproduktionen der Berliner Cazzo-Film gefeiert werden. Neben „Kommando X“, in dem Uniformmänner eine ganze Fußballmannschaft vergewaltigen, und „Berlin Army Dreams“ hat Cazzo gleich mehrere Skinpornos im Angebot, darunter „Skingang“ von Bruce La Bruce. Da wird auf „Mein Kampf“ gewichst und „zum Nachtisch wird dann noch ein schwules Pärchen überfallen. Doch die beiden drehen den Spaß um: Am Ende wird der Chef der Skingang rangenommen“, heißt es in der Kurzbeschreibung. Uuuh, yeaah.
Der hier spielerische Umgang mit dem an sich brisanten Thema rechter Gewalt gegenüber Schwulen dehnt sich allerdings noch auf andere, strikt humorfreie Zonen aus. Die Website des schwulen Skinheads „Henka“, wohnhaft „Capital of Germany, Berlin“ lädt unter anderem zu einem „architektonisch-fotografischen Rundgang durch das noch erhaltene baugeschichtliche Dritte Reich in Berlin“ ein.
Detlef H. kennt „Henka“ persönlich und sagt, das sei nur ein Spiel. Er betont, dass höchstens zwei bis drei Prozent der schwulen Skinheads rechts seien und somit lediglich die schwule Gesellschaft widerspiegeln. Er räumt aber ein, dass man in der Szene keine Vorbehalte gegen illegale Abzeichen und neonazistische Ästhetik habe: „Wir haben Naziskins gegenüber keine Sympathien, grenzen sie aber auch nicht aus. Wir sind da tolerant.“ Den Sinn einer Toleranz gegenüber Menschen, die einem selbst aufgrund der sexuellen Identität intolerant gegenüberstehen, weiß H. nicht recht zu erklären. „Schwule Skins sind an Spaß und Sex interessiert, Politik ist eher zweitrangig“, sagt er entschuldigend. Bei Begegnungen mit rechten Skinheads hat er festgestellt, dass diese ihn zwar als schwulen Skinhead erkennen, sich aber ansonsten teilnahmslos verhalten. Bier wird nicht zusammen getrunken, aber die Baseballschläger werden anscheinend auch stecken gelassen. Als schwuler Skin kann man sich also auch in die entlegensten Winkel Brandenburgs wagen. Böse gesagt: Wenn die potenziellen Opfer jetzt die Kleidung der Täter tragen, sind natürlich alle verunsichert.
Böse deshalb, weil nicht alle Skinheads als rechtsradikal einzustufen sind. Der gemeine Skinhead scheint zwar in seiner Freizeit am liebsten Rollstuhlfahrerinnen aus der S-Bahn zu werfen, in Wirklichkeit aber ist die Skinheadszene ein wüstes Durcheinander: Es gibt linke Redskins, Sharp-Skins („Skinheads against racial prejudices“), unpolitische und vornehmlich an Randale, Suff und Musik interessierte „Oi!“-Skins sowie politisierte Faschoskins. Letztere stellen allerdings einen Großteil der gewaltbereiten Rechtsradikalen in Deutschland. Insbesondere die „Blood & Honour“-Bewegung gilt als Rekrutierungsfeld für rechtsradikale Parteien.
Die Schwulen scheinen größtenteils der Ballermannabteilung anzugehören. Ihr Credo: „Saufen, raufen, ficken“. Bezieht man das Raufen auf S/M-Spielchen, sind Ähnlichkeiten mit der Schwulenszene nicht mehr ganz so abwegig. Wie alle anderen Skinheads auch hören sie Ska, Punk und Reggae. Und richtig schön teure Klamotten dürfen sie auch kaufen: DocMartens-Stiefel, Lonsdale-Pullis (ein englischer Boxausrüster) und Fred-Perry-Polohemden. Fred Perry, der erste aus der Arbeiterklasse stammende Tennisspieler, der Wimbledon gewann, symbolisiert den ursprünglichen „Workingclass Hero“-Anspruch der Szene.
Der Arbeitermythos wird heute gern von all jenen Skinheads bemüht, die nicht mit den rechten Mordbuben in eine Kiste gesperrt werden wollen. Auch wenn sie dabei, wie ein Bekannter von Detlef H., während eines schwulen Skintreffens im schweineteuren Hotel in New York hocken.
Da jetten sie um die Welt und dem Traum eines „richtigen“ Mannes im Bett hinterher, frönen der Kameradschaft, dem Wettweitpinkeln und Rudelwichsen. Ach, die gute alte Zeit: Magnus Hirschfeld wusste noch von preußischen Soldaten zu berichten, die gern nachts im Tiergarten mal jemanden ranließen, von den berüchtigten Kadettenanstalten ganz zu schweigen. Und die Ossis hatten ihre sexuell ausgehungerten Russen gleich regimentsweise in der Landschaft herumstehen. Liebe Jungs von der Bundeswehr, es ist Not am Mann!
MARTIN REICHERT, 27, Hospitant im taz.mag, rasiert sich einmal pro Woche die Haare auf zwei Millimeter
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