Teste Dein Geschlecht!

Das Magazin „Testcard“ stellt heute Abend in der B5 die Geschlechterverhältnisse in der Popkultur in Frage  ■ Von Roger Behrens

Die patriarchale Gesellschaft reproduziert und festigt ihren Sexismus und Rassismus auch kulturell. Diese Feststellung gilt als banal: Was wir Zivilisation nennen, ist das Resultat herrschender Geschlechterverhältnisse, der Konstruktion von „Rasse“, Klasse und Nation. Zugleich ist die Kultur allerdings auch ein bevorzugter Ort des Protests, des Widerstands und der subversiven Unterwanderung dieser Verhältnisse.

Das führt nicht selten zu Verselbstständigungen einzelner, wie man heute sagen würde, kultureller Felder. Was wir beispielsweise Popkultur nennen, ist ohne die verdoppelte Unterdrückung der Frau und der sexuell anders orientierten Menschen gar nicht vorstellbar. Auf den Rockbühnen inszenierter Männlichkeit bilden Frauen selbstverständlich den Backgroundchor; in der Popwelt werden die Rollenbilder vorgeführt und modisch geschmückt; ebenso wie die Boygroups sind auch kreischende Mädchen Erfindungen einer Popkulturindustrie. Fast scheint es, als seien selbst Riotgirls eine notwendige Folge der Geschlechterordnung im Pop. Mittlerweile wird der antisexistische Widerstand, der sich hier seit einigen Jahren regt, vom Popjournalismus wie ein Naturgesetz vorgeführt: der Kampf der Geschlechter halt.

In der Popkultur, wo sowieso alles bunter ist und mehr Spaß macht, kann das Patriarchat indes gerne auf einen Teil der Unterdrückung verzichten; solange die Konsumenten die Zweigeschlechtlichkeit von Mann und Frau gewissermaßen als Naturzustand anerkennen, ist die prinzipielle Gleichberechtigung kein Problem. Gerade die Popkultur bietet sich als Spielwiese an, auf der alle mal ihre Lieblingsrolle ausprobieren dürfen. Popstars wie Prince, George Michael oder Madonna machen es seit Jahren vor.

Eine antisexistische Politik hat daraus die Konsequenz gezogen und belässt es nicht bei der Gleichstellungsforderung, die in gewisser Weise nur eine Reform des Pat-riarchats bedeuten würde. Zu dessen Abschaffung bedürfte es mehr. Die amerikanische Philosophin Judith Butler beispielsweise kritisiert weniger das Verhältnis der Geschlechter als vielmehr die Kategorie Geschlecht selbst: „Gender“, die kulturelle „Erfindung“ von zwei Geschlechtern. Aus der These, dass es wenig Gründe gibt, überhaupt von zwei biologischen Geschlechtern auszugehen, vielmehr eine Gender-Vielfalt möglich ist, sind nun neue subkulturelle Strategien gewonnen worden. Damit ist die antisexistische Politik auch in eine neue praktische Phase getreten. Bislang sind das allerdings noch Randphänomene, die Popkultur wird weiter von Männern dominiert. Und das auch dort, wo „man“ glaubt, es anders zu machen.

So berichtet Luka Skywalker, was es heißt, in einem von Männern beherrschten Terrain als DJ aufzutreten. Sie resümiert in der „Test-card“ ihre Erfahrungen, die von den üblichen Degradierungen (“Frauen und Technik“) bis zu entstellten Interviews reichen: „Es geht nie um die Musik, sondern immer nur um dein Geschlecht.“ Zusammen mit Martin Büsser und Tine Plesch wird sie heute Abend die neueste, achte Ausgabe der „Testcard“ vorstellen. „Gender“ heißt diesmal bündig das Thema des Halbjahresmagazins.

Erstmalig mit dieser Ausgabe wird es eine Lese-Tour geben, die in Hamburg eröffnet wird. Für eine Diskussion gibt es genügend Anlass und Gelegenheit. Wem das nicht ausreicht, der möge in der „Testcard“ den Fragebogen zu „Teste Dein Geschlecht!“ ausfüllen. Wer dazu nicht nach Hause gehen will, bekommt am späteren Abend von Jörg Schöning noch Schallplatten aufgelegt.

heute, 20 Uhr, B5 Brigittenstraße 5 Testcard. Beiträge zur Popgeschichte #8: Gender, Ventil-Verlag 2000, 289 S., 28, DM