: Der Kampf fängt erst an
Trotz Gesetzentwurf: Die „Homo-Ehe“ ist noch lange nicht durchgesetzt. Es droht ein Kulturkampf. Lesben und Schwule müssen sich stärker politisieren. Der CSD-Karneval reicht nicht mehr
von JAN FEDDERSEN
Ein historisches Datum, dieser Donnerstag, 6. Juli 2000: Heute erhalten die fünf Bundestagsfraktionen offiziell den Entwurf der Regierungskoalition zu den so genannten Eingetragenen Lebenspartnerschaften. Würde die Vorlage Gesetz, hätte Deutschland sich endgültig von der völkisch-männlichen Tradition des soldatischen Mannes verabschiedet. Schwule und Lesben erhielten das Recht, ihre Liebe, bis dass der Tod sie scheidet (oder ein, sagen wir: Familienrichter), zu legalisieren. Ein Signal, das sich die Bundesrepublik von einer moralischen (und auch juristischen) Tradition lossagt, die Homosexuelle lediglich als Aussätzige oder als zu Ignorierende (sofern sie öffentlich auftreten) verstehen wollte.
Zur Erinnerung: Unter den Nationalsozialisten wurden homosexuelle Männer verurteilt, kastriert – und tausendfach in Konzentrationslagern umgebracht. Erst 1969 endete die Gültigkeit des NS-Paragraphen 175, der Homosexualität schlechthin unter Strafe stellte. In den Fünfzigerjahren wurden mehr Schwule mit Gefängnis bestraft als im Dritten Reich. Wiedergutmachung haben Homosexuelle als Verfolgte des Naziregimes nie erhalten.
Mit der Reformvorlage der rot-grünen Koalition werden Homosexuelle als Staatsbürger mit anderer sexueller Orientierung respektiert. Dies verabschiedet die Heterosexualität als den einzigen legitimen (und legalen) Lebensentwurf: die Mann-Frau-Kombination, die nach dem Verständnis der Union wie eh und je dazu dient, Kinder in die Welt zu setzen. Diese Reform der Entpönalisierung homosexueller Lebensweisen ist nur vergleichbar mit der Liberalisierung des Paragraphen 218, der erstens dazu gedient hatte, Abtreibende zu kriminalisieren, und der zweitens daran mahnte, dass der freie Wille einer Frau begrenzt ist (Stichwort: die Mutter als Gebärmaschine), sobald sie ungewollt schwanger wird.
Und eben deshalb wird das Reformwerk ein favorisierter Gegenstand des Kulturkampfes der Konservativen gegen die Liberalen, Alternativen und Linken werden. Insofern ist es viel zu früh davon auszugehen, dass lebensoffene Christdemokraten und moderne Liberale schon verhindern werden, dass die schwarze Opposition Widerstand leistet. Auch die Abtreibungsdebatte war nicht am Ende, als das Gesetz Mitte der Siebzigerjahre zugunsten einer Fristenlösung geändert wurde. Mehrere Entscheidungen Karlsruhes blockierten das Selbstbestimmungsrecht der Frauen in dieser Frage. Heute, immerhin, existiert eine Rechtsvorschrift, die einen Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Umständen nicht unter Strafe stellt. Absehbar ist – verschiedene Stellungnahmen aus dem Lager der Union haben dies explizit angekündigt –, dass diese Reform angefeindet und bekämpft wie einst die doppelte Staatsbürgerschaft, wie auch das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch. Selbst innerhalb der Sozialdemokratie ist diese Liberalisierung nicht unumstritten; Otto Schilys Innenministerium hat nur äußerst unwillig seinen Teil dazu beigetragen, das Gesetzesvorhaben zu ermöglichen. Und Bundeskanzler Gerhard Schröder hat den Grünen bedeutet, dass die Eingetragene Lebenspartnerschaft nur im laufenden Jahr Gegenstand der Debatte sein kann – in einer landtagswahlfreien Zeit. Im kommenden Jahr drohen die Abstimmungsgänge in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz: Er will dann nicht riskieren, dass seine Regierung als Homo-Regierung diffamiert werden kann. Denn wahr ist ja auch: Das Mittel der Denunziation mit dem Vorwurf, etwas oder jemand sei homosexuell, ist immer noch in Teilen der konservativen Bevölkerung (die zu einem gut Teil auch SPD wählt) wirksam. Und genau das weiß auch die Union, wissen Politiker wie Edmund Stoiber und Friedrich Merz.
Ohnehin haben sie ein probates Werkzeug in der Hand, die Reform auszuhöhlen: Die meisten Paragraphen und Bestimmungen betreffen die Interessen und Befugnisse der Länder – und im Bundesrat hat die rot-grüne Koalition keine Majorität. Schließlich droht auch eine Klage in Karlsruhe, weil die Union die Reform so versteht, dass sie das grundgesetzgeschützte Institut von Ehe und Familie bedroht. Selbst ein rein symbolischer Akt – ohne materielle Folgen für die Betroffenen (wie etwa Steuerrecht) – würde in Karlsruhe verhandelt werden. Die Union darf auch dort hoffen, denn sie weiß das gesunde Volksempfinden, wie in der Frage der Staatsbürgerschaft, auf ihrer Seite. Homosexuellenhass ist noch weit verbreitet, und Angela Merkel ist nicht die Union.
Die aber ist eine Partei, welche das Bild der strikt heterosexuellen Familie heiligt wie keine andere politische Formation im aufgeklärten Europa – trotz einer Homo-Gruppe in der CDU. Und auch alternativen MitbürgerInnen ist ja nicht immer behaglich, wenn plötzlich die Homos das Gleiche wollen wie sie: bieder und brav leben, ehelich mit allen bösen und guten Seiten. Sie mögen Schwule und Lesben am liebsten, wenn sie schrill und schräg sind – aber nicht als Liebende, die womöglich auch noch Kinder adoptieren wollen.
Es deutet viel darauf hin, dass diese Reform in dieser Legislaturperiode nicht zum Gesetz wird. Das wäre politisch nur enttäuschend für diejenigen, welche dachten, dass ein wenig CSD-Karneval schon reicht, um die Zuschauer am Rand von der Okayness der Homosexuellen zu überzeugen. Einrichten muss man sich auf einen jahrelangen Kampf. Gegen die herrschende Meinung im Recht (die Familie nur heterosexuell buchstabiert), gegen das Völkische (selbst in der SPD), gegen die Schulterklopfer im Namen des Exotischen („Tunten sind toll“). Und für nichts als ein Recht, das für niemanden eine Pflicht ist: Es geht nur darum, eine Minderheit davor zu schützen, weiterhin – rechtlich und damit gesellschaftlich – aussätzig sein zu müssen. Möglicherweise war alles, was bislang Schwulen- und Lesbenbewegung genannt wurde, nur ein verhaltener Auftakt für das, was es jetzt braucht: eine politische Bewegung von Homosexuellen, die ihren Teil dazu beiträgt, diesen Staat und diese Gesellschaft von völkischer Schlacke zu entsorgen. Es wird Angriffe geben, verletzende Äußerungen von Unionspolitikern, von konservativen Christen, selbst von liberalen Politikern, die womöglich Homosexuelle ermahnen, die Mehrheit nicht zu provozieren. Das müssen die Betroffenen aushalten können. Es sollte Homo-bewegte Bündnisse geben, die alle politischen Milieus einschließen – also auch die Schwulen und Lesben in der Union.
Generell gilt ohnehin: Heterosexuelle Solidarität mit dem Kampf der Homosexuellen um gleiche Rechte wäre jederzeit willkommen. Am unnötigsten sind auf jeden Fall Beiträge, die den Lesben und Schwulen vorwerfen, dass Heiraten doch sowieso viel zu bürgerlich sei. Auf diese Fingerzeige, doch bitte sehr im Lifestyle-Reservat zu bleiben, darf verzichtet werden.
Hinweise:Mit der „Homo-Ehe“ würde die völkisch-deutsche Tradition des soldatischen Mannes verabschiedetAuch Alternative mögen Schwule und Lesben am liebsten, wenn sie schrill und schräg sind
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen