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„Das Gegenteil wird erreicht“

Heute steht Kohl erneut vor dem Untersuchungsausschuss. Für den Präsidenten des Bundesarchivs, Hartmut Weber, hat die Aktenvernichtung ihren Zweck verfehlt

taz: Herr Weber, ist dem Bundesarchiv eine Vernichtungsaktion wie im Falle des Kanzleramtes jemals untergekommen?

Hartmut Weber: In dieser Dimension meines Wissens nicht. Was wir in der Vergangenheit hatten, waren zeitliche Verzögerungen bei der Übergabe von Akten. Auch kam es vor, dass Politiker private Schriftstücke mit amtlichen Dokumenten und Parteigut vermischten, sie mitnahmen und etwa Parteiarchiven oder im Nachlass hinterließen, wo wir sie später dann, manchmal gegen Geld, wieder zurückkaufen konnten.

Vertrauen Sie noch den Beamten im Bundeskanzleramt?

Ja. Gerade im Kanzleramt sind die Registraturen stets sehr sorgfältig geführt worden – bis heute. Im Übrigen eignet sich dieser Vorgang nicht für eine allgemeine Beamtenschelte. Man muss, wie überall an den Schaltstellen, auch beim Kanzleramt deutlich zwischen der politischen Leitungsebene und dem Beamtenapparat unterscheiden. Zwar mag es auch unter den Beamten schwarze Schafe gegeben haben. In der Regel aber können wir über die Zusammenarbeit mit der Organisationsebene, die im Kanzleramt die Akten führt, nicht klagen.

In der Öffentlichkeit ist unklar, ob die elektronische Vernichtung von Daten – im Kanzleramt wurden eine Million Blatt gelöscht – juristisch klar geregelt ist.

Dieser Argumentation kann ich nicht folgen. Schon 1989 bei der Verabschiedung des Bundesarchivgesetzes wurde die elektronische Speicherung mitbedacht. Informationen auf Datenträgern, die von bleibendem Wert sind, gehören demnach ins Archiv – und was von bleibendem Wert ist, entscheiden die Archivare.

Wie manipulierbar sind Akten heutzutage?

Bei der heute differenzierten Verwaltung ist eine gezielte Aktenvernichtung schwer – zumindestens bei den Vorgängen, an denen auch andere Stellen beteiligt waren. Das gilt natürlich nicht für Dokumente, etwa einer internen Notiz, von der eine Person oder nur sehr wenige Eingeweihte Kenntnis hatten.

Das heißt, das Bundesarchiv kann über die Registraturen des Kanzleramtes nicht darauf schließen, ob etwas verschwunden ist?

Natürlich lässt sich über Hilfsmittel wie Aktenpläne und Verzeichnisse ermitteln, was da sein müsste. Im Übrigen müssen wir darauf vertrauen, dass das, was niedergeschrieben wurde, von der politischen Leitungsebene den Beamten übergeben und von diesen registriert wird.

Also lohnt sich für Politiker Aktenvernichtung doch?

Aktenvernichtung erreicht genau das Gegenteil dessen, was man sich erhofft. Sind die authentischen Dokumente verschwunden, wird die Wahrheit abgelöst durch Legendenbildung und, im schlimmsten Falle, von Verschwörungstheorien.

INTERVIEW: SEVERIN WEILAND

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