Beamte gegen ihren Staat

1500 bis 3000 beim Lehrerstreik: Junge sollen überhaupt und Alte weniger arbeiten. Behörde verhängt Zwangsgeld  ■ Von Sandra Wilsdorf

Heinrich Becker hat kein Plakat mitgebracht, aber seine Geschichte: „Ich unterrichte an einer Sonderschule und bin über 60. Früher war ich 26 Stunden auf Sendung. Zieht man die zwei Stunden Altersermäßigung ab, die es bislang für über 60-Jährige gab, macht das 24 Stunden“. Tatsächlich aber muss er 27 Stunden unterrichten. „Auch dafür, dass ich zusätzlich jede Woche acht bis 12 Stunden die Computer in Ordnung halte, gibt es keine Entlastung“. Deshalb ist Becker gestern dem Aufruf der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gefolgt, nach der dritten Stunde die Arbeit niederzulegen und zur Kundgebung am Jungfernstieg zu kommen.

Hier versammelten sich gegen Mittag zwischen 1500 - sagt die Polizei - und 3000 - sagt die GEW - um dafür zu demonstrieren, dass junge LehrerInnen eingestellt und ältere entlastet werden. Denn das Gegenteil ist Politik: Die Altersermäßigung von ein bis zwei Stunden bei vollem Lohnausgleich wird gestrichen. Das kostet rechnerisch 192 Stellen. Die Schulbehörde erwartet, dass von den 320 Referendaren, die demnächst fertig werden, etwa 100 sofort, weitere 100 im Herbst sowie 40 befristet eingestellt werden. Für 80 Junglehrer sieht es schlecht aus.

„Dieser erste Lehrerstreik seit 1988 ist eine Notwehrmaßnahme. Wir haben die Nase voll von einer Politik, die zu Lasten von bildungs- und sozialpolitischen Errungenschaften die Schere immer weiter öffnet, einer Politik, die Reiche immer reicher werden lässt, während die öffentlichen Haushalte ausbluten“, ruft die GEW-Vorsitzende Anna Ammonn ins Mikrofon. Applaus. Die Schülerkammer, die ÖTV, die Arbeitsgemeinschaft der Elternräte der Gesamtschulen Hamburg, die Bürgerschaftsgruppe Regenbogen, die Gewerkschaft der Polizei und die Jungsozialisten sind auf ihrer Seite. Auf der anderen steht die Schulbehörde, die 100.000 Mark Zwangsgeld verhängt hat, weil der Streik-Aufruf „die öffentliche Ordnung störe“: Beamte dürfen per Gesetz nicht streiken.

„Die Senatspolitik und nicht der Streik gehen auf Kosten der Lernenden“, findet Julia Koppke vom Regenbogen. Die GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Christa Goetsch verweist auf Verbesserungen: „Hauptschullehrer unterrichten statt 28 nur noch 27 Stunden, Grundschullehrer 24 statt 28“. Die gestrichene Alstersermäßigung sei schmerzhaft, aber „konnte so lange verschoben werden, bis wir in die Altersteilzeit einsteigen“. Ab 58 Jahren können Lehrer nun bei 83 Prozent Gehalt auf 60 Prozent der Stunden reduzieren. Die Schulbehörde schätzt, dass etwa elf Prozent der Älteren das Angebot annehmen. Zwei 52-jährige Lehrer sagen: „Wir brauchen dringend junges Blut in den Schulen.“