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Butterweiche Parlamentarier

Europaparlament billigt Haushalt 98, obwohl die Betrugsvorfälle vom letzten Jahr nicht vollständig geklärt sind. Zentrale Akten sind verschwunden. Neuer Betrug aufgedeckt: Subventionierte Butter wurde mit Abfällen gepanscht und verkauft

von DANIELA WEINGÄRTNER

Mitte April verblüffte die junge Europaabgeordnete Gabriele Stauner (CSU) Parlament und Kommission mit einem kühnen Entschluss. Als Berichterstatterin empfahl sie, das Parlament solle dem Haushalt 1998 die Entlastung verweigern. Die Vorwürfe, über die die Santer-Kommission 1999 gestolpert war, seien bis heute nicht aufgeklärt.

Gestern hat das Parlament mit 443 zu 64 Stimmen Entlastung erteilt. Stauner allerdings blieb standhaft und stimmte gegen ihren eigenen Bericht. Denn bis heute sind nicht alle Bedingungen erfüllt, die die Abgeordnete gestellt hatte. „Das ist nicht mehr mein Bericht. Das ist Weißwascherei“, sagte Stauner Ende Juni, als der Haushaltskontrollausschuss empfahl, den 98er Haushalt passieren zu lassen.

Stauner hatte der neuen Haushaltskommissarin Michaele Schreyer, die dafür zuständig ist, die Sünden ihrer Vorgänger aufzuklären und zu ahnden, Vertuschung vorgeworfen. Hauptstreitpunkt ist die so genannte „Fléchard-Affäre“. Das französische Unternehmen Fléchard hatte Anfang der 90er-Jahre 6.750 Tonnen irische Butter angeblich in die Sowjetunion geliefert und dafür hohe Exportsubventionen erhalten. Tatsächlich war die Butter aber mit hohem Gewinn nach Polen verkauft worden.

Als der Betrug aufflog, belegte die Kommission das Unternehmen mit 17,6 Millionen Euro Strafe. Sie minderte die Summe später ohne Begründung auf 3 Millionen Euro. Der heutige Handelskommissar Pascal Lamy soll dabei eine entscheidene Rolle gespielt haben.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war der Betrugsskandal im Dschungel von Parteiinteressen und Länderproporz gelandet. Im Brüsseler Kommissionsgebäude muss es zugegangen sein wie im Bonner Kanzleramt. Das Protokoll der Kommissionssitzung, die den großzügigen Straferlass zustand, ist verschwunden. Bis 1996 machte die Kommission weitere Geschäfte mit der Firma Fléchard.

Wollte Michaele Schreyer die Vorgänge von damals wirklich rückhaltlos aufklären, müsste sie gleich zwei ihrer heutigen Kabinettskollegen auf die Zehen treten. Denn der Finne Erkki Liikanen, ihr Amtsvorgänger, ist jetzt für „Unternehmen und Informationsgesellschaft“ zuständig. Und eine Schlüsselfigur der Fléchard-Affäre, Pascal Lamy, sitzt als Handelskommissar mit Schreyer am Kabinettstisch.

Anfang Juli holte die Deutsche zum Befreiungsschlag aus. Sie schrieb dem bis 1994 für Haushalt und Finanzkontrolle zuständigen Kommissar Peter Schmidhuber einen Brief und bat ihn um Aufklärung, warum er das heikle Thema in seiner Amtszeit nicht auf die Tagesordnung der damaligen Kommission gesetzt habe.

Mit diesem Schachzug hat Schreyer dafür gesorgt, dass Gabriele Stauner ebenfalls parteipolitisch in die Klemme gerät. Schmidhuber ist nämlich CSU-Mitglied. Seine Parteikollegin Stauner aber blieb standhaft. Am 24. Mai habe Schreyer dem Haushaltskontrollausschuss Auskunft darüber versprochen, wie viel Geld die Kommission in den vergangen Jahren an Fléchard gezahlt habe. Diese Zahlen habe sie bis heute nicht vorgelegt.

Pünktlich zum Straßburger Streit um die Haushaltsentlastung machte die EU-Betrugsbekämpfungseinheit Olaf, die dem Schreyer-Ressort untersteht, einen neuen Butterskandal öffentlich. Auch hier soll Fléchard seine Finger im Spiel haben. Gleichzeitig sind Neapels Mafiakreise und belgische Händler mit von der Partie. Tonnenweise soll die Camorra Rindertalg, Fettabfälle und „chemische Substanzen“ zusammengerührt, als Butter verkauft und dafür EU-Subventionen kassiert haben. Der finanzielle Schaden für die EU wird auf 45 Millionen Euro geschätzt. Der gesundheitliche Schaden für die Verbraucher könnte noch größer sein.

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