Gesichtslosigkeit von Gebäuden und Vierteln

■ Stadtplanung für den flexiblen Kapitalismus: Soziologen und Architekten diskutieren im Architekturzentrum

Der Kapitalismus ist anders als vor 100 Jahren, also muss auch die Stadtplanung eine andere werden. Sie muss sich dem Phänomen stellen, dass den Metropolen einerseits tendenziell exterritoriale Nervenzentren des globalen Kapitalismus implantiert werden. Und dass andererseits der neue flexible Kapitalismus die Menschen am Eingehen fester Bindungen hindert. In den Städten zeigt sich beides in einer zunehmenden Gesichtslosigkeit von Gebäuden und Vierteln und der Schwierigkeit der Stadtbevölkerung, Orte des globalen Kapitalismus zu beleben. Warum das so ist und wie Stadtplaner und Architekten darauf reagieren sollten, diskutierten Ende der vergangenen Woche im Architekturzentrum die SoziologInnen Saskia Sassen und Richard Sennett mit den Architekten Hans Kollhoff und Joan Busquets.

War die Arbeit nach Max Weber vor hundert Jahren noch nach dem Vorbild der bürokratischen Pyramide und des Militärs hierarchisch organisiert, so habe das Management vor einer Generation begonnen, dies zu ändern, argumentiert Sennett. Flache Hierarchien sind entstanden, unter denen verschiedene konkurrierende Teams Projekte bearbeiten. Ist der Job beendet, wechseln ihre Mitglieder das Team und häufig auch den Arbeitgeber. In Silicon Valley, so Sennet, arbeiten die Leute durchschnittlich acht Monate in einem Job. Das Mantra dieses neuen flexiblen Kapitalismus sei es, langfristige Bindungen zu vermeiden, sagt der Soziologe. „Sich nicht verpflichten, sich auf nichts einlassen, kurzfristig denken!“

In der Architektur habe der flexible Kapitalismus ähnliche Folgen: Die Menschen können sich nicht mehr an Orte binden und sollen es auch nicht. Baulich, so Sennetts These, führe diese Haltung zu einer Architektur der Haut: zu Gebäuden, die im wesentlichen eine Hülle sind, die von ganz unterschiedlichen Firmen genutzt werden kann. Paradoxerweise sind diese Gebäude trotzdem sehr unflexibel. Denn etwas anderes als Büros lassen sie in ihrem Inneren nicht zu. „Es ist leichter, einen Wolkenkratzer von 1910 in ein Wohngebäude zu verwandeln als einen Wolkenkratzer aus den 1990ern“, sagt Sennett.

Nachhaltig sei diese Art von Architektur nicht. Zumal sie nicht in der Lage sei, mit einem zentralen Problem des flexiblen Kapitalismus umzugehen: dem Widerspruch zwischen den Erfordernissen der Familie und der Arbeit. „Wir müssen eine Architektur schaffen, die es den Leuten ermöglicht, Räume zu beleben, statt sie für die Monofunktion des globalen Kapitalismus zu reservieren.“ Restaurants, Läden und eine Kita im 20. Stock eines Büro-Hochhauses könnten eine Lösung sein.

Auch Saskia Sassen argumentiert für eine „Politik des Rechts auf Orte“. Sie plädiert einerseits dafür, die Bevölkerung möge die Viertel, in denen das globale Kapital seine Geschäfte abwickelt, etwa den Potsdamer Platz in Berlin, in Besitz nehmen. Andererseits stellt sie die Frage, ob es sinnvoll sei, solche Viertel architektonisch mit ihrer unmittelbaren Umgebung zu verbinden oder ob das nicht vielmehr die krassen Unterschiede verschleiere.

Hans Kollhoffs Vortrag ging vom gleichen Befund aus wie Sennett: „Wir bauen zu billig“, sagt der Berliner Architekt kurz und bündig. Der Qualitätsstandard der meisten Bauten heutzutage sei niedrig und würde durch Design oberflächlich kaschiert. Der Ort, an dem ein Gebäude stehen soll, und der Zweck, dem es dient, spielten bei der Planung oft keine Rolle. Allgemein seien die Maßstäbe für das Bauen verloren gegangen. Jeder Architekt fühle sich als Künstler, der ein spektakuläres Einzelobjekt irgendwohin setzt. Doch aus einer Ansammlung solcher Objekte werde keine schöne Stadt.

Joan Busquets plädiert angesichts dessen für theoretisch fundierte Pläne. „Um die Stadt zu gestalten, brauchen wir die Kraft der Abstraktion“, sagte der Mann, der 1992 die Bauten für die Olympiade in Barcelona plante. Er präsentierte zehn Herangehensweisen an die Stadtgestaltung, die alle legitim seien: Medienwirksame Bauten, die als Aushängeschilder für ganze Viertel dienen können, Masterpläne, viele kleine Pläne an unterschiedlichen Orten der Stadt, die Belebung öffentlicher Plätze und so fort.

Mit Kollhoff scheint er sich einig, dass es gelte, an die Qualitäten der Vergangenheit anzuknüpfen. Jeder Neubau müsse sich am Bestand messen lassen, sagt Kollhoff und plädiert für eine „Rehabilitation des Vorbildlichen“. Während Sennet den Blick auf die Arbeitsbedingungen von Architekten richtet, appelliert Kollhoff an deren Mut, „ausgehend von der Welt, wie sie ist, eine Aussage zu formulieren, wie sie sein soll“.

Sennett stellt klar, dass die Deutschen politisch entscheiden müssen, ob sie dem amerikanischen Vorbild des flexiblen Kapitalismus folgen wollen: „Ihr Kanzler sagt Ihnen, das ist euer Schicksal“. Das, was es möglicherweise zu bekämpfen gelte, sei allerdings nicht die amerikanische Kultur, sondern ein wirtschaftliches System, das deutsche Firmen im Ausland heute schon praktizieren.

Gernot Knödler